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Robert HP PlatzChapelle (2020) deutsche Erstaufführung
für Klarinette solo

Liza LimThe Heart’s Ear (1997)
für Flöte, Klarinette und Streichquartett

Liza LimMicrobiome (2020)
für Bassklarinette solo

Harrison BirtwistleAubades and Nocturnes (2003) aus The Io Passion
für Bassetklarinette und Streichquartett

Carl Rosman, Klarinetten, Kurator
Helen Bledsoe, Flöte
Hannah Weirich, Violine
Sara Cubarsi, Violine
Barbara Maurer, Viola
Dirk Wietheger, Violoncello

Programmtexte

Robert HP Platz – Chapelle

Seit über 30 Jahren arbeite ich immer mit dem gleichen Material, verschiedenen „Gesten“.

Chapelle gehört zu dem Zyklus Taormina Block, zu dem insgesamt 6 Stücke gehören, die alle autark, also auch einzeln spielbar sind. Im Gegensatz zu meinen Kompositionen zuvor konzentriert sich jedes dieser Stücke auf nur eine einzige „Geste“, anstatt ihr Leben aus einer Vielzahl verschiedener Gesten abzuleiten.

Bei Chapelle ist dies eine eher lieblich gehaltene Grundstimmung: dolce. Das Ineinandergreifen dieser Gesten bei sechs gänzlich verschiedenen, gleichzeitig gespielten Stücken läßt mich an einen scheinbar ungesteuerten inneren Monolog denken, ein permanentes Abschweifen und Wiederzurückfinden der Gedanken: ein verführerischer Gedankendschungel, sinnlich und doch eindeutig auf ein abschließendes Kadenzieren hin entworfen. Vielleicht läßt sich der formale Ablauf in meiner Musik so am Besten beschreiben: als Abbildung des Gedankenflusses, mit allen Abschweifungen, Rückbesinnungen, Gleichzeitigkeiten: eine Traummechanik.

In meinem Taormina Block: Container weitet sich dieser Dschungel in den Raum hinein, wird dreidimensional. Die sechs Einzelstücke umschließen das Publikum, Assoziationen bekommen eine räumliche Zuordnung, fast wird der Konzertsaal zur Projektion des Schädels, unter dessen Decke eine Flut von Assoziationen von einem Gehirnareal zum andern schießt, und wir mitten drin…

…und Chapelle mitten drin: was wäre das Leben ohne seine Süße?

Liza Lim – The Heart’s Ear

The Heart’s Ear ist eine Meditation über ein Fragment einer Sufi-Melodie. Eine Melodie, wie Vogelgesang, der im Inneren des Eies beginnt (Rumi) und sich seinen Weg nach draußen in eine Folge von musikalischen Räumen bahnt. Stille (inneres Hören) und Gesang (Sehnsucht) verflechten sich und fließen durch die Musikinstrumente.

Dieses Werk ist dem Australia Ensemble gewidmet.

Liza Lim – Microbiome

Geschrieben für Carl Rosman, in Freundschaft

„Der Parasit hört nicht auf. Er hört nicht auf zu essen oder zu trinken oder zu schreien oder zu rülpsen oder Tausende von Geräuschen zu machen oder den Raum mit seinem Gewimmel und Lärm zu füllen…“
Michel Serres, Der Parasit (S.253)

Wir Menschen beherbergen eine Vielzahl von Mikroben in und auf unserem Körper – Bakterien, Viren, Pilze und andere Parasiten – und sind von ihnen abhängig. Dem Darmmikrobiom wird eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Immunität zugeschrieben, und es fungiert als eine Art „zweites Gehirn“, das alles von Emotionen bis zum Schlafzyklus beeinflusst. Sowohl nützliche als auch schädliche Mikroben koexistieren in einem dynamischen Fluss, und wir sehen, dass das, was wir als unabhängiges „Ich“ betrachten, ein Holobiont (eine ökologische Ansammlung) ist und dass das „Ich“ eine multispeziesale, vielstimmige Vielfalt ist.

Harrison Birtwistle – Aubades and Nocturnes

In Harrison Birtwistles Oper The Io Passion (2004) besteht das „Orchester“ aus einem Streichquartett und einer Bassettklarinette (bei den ersten Aufführungen war es das Quatuor Diotima und Alan Hacker).

Birtwistles erster Schritt beim Komponieren der Musik bestand darin, eine Reihe von Miniatur-Klarinettenquintetten zu schreiben, die schließlich das Rückgrat der musikalischen Struktur bilden sollten.

Diese Quintette bilden das vorliegende Werk mit dem Titel Aubades and Nocturnes: dreizehn Sätze, einige davon winzig klein, von denen nicht alle schließlich in der Oper erschienen. (Birtwistle hat später eine bescheidenere Auswahl unter dem Titel Nocturnes and Aubades getroffen, die auch einige Zwischenspiele aus der Oper enthält, die in der ursprünglichen Zusammenstellung nicht enthalten waren).

Birtwistles dramatische Werke weisen nur selten einen linearen Handlungsstrang auf, und The Io Passion bildet da keine Ausnahme: Ein einziges Ereignis wird auf der Bühne wiederholt und mit zunehmender Komplexität der Details dargestellt. Die Aubades und Nocturnes folgen einer ähnlichen Strategie, indem sie immer wieder dasselbe musikalische Terrain durchlaufen und sich von ihrem epigrammatischen Anfang allmählich ausweiten.

https://youtu.be/l6VCGWujxl8

 

Studio MusikfabrikConcert Impressions
Vom Konzert Death & Desire
14. Okt 2023, Alte Feuerwache, Köln

Sean Quinndeath & desire (2021 – 23) Uraufführung
Dieter MackKammermusik II (1991)
Malika KishinoSchmetterlingstanz (shortened version, 2023)
Kee Yong ChongSplattered landscape IIb – cloud’s echoing (2007)

Studio Musikfabrik – Jugendensemble des Landesmusikrats NRW
Peter Veale, Dirigent

Janet Sinica, Video / Schnitt

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Petros Ovsepyan – Airs Between (2023) Uraufführung
für Flöte, Horn, Violine und Tonband

 

Helen Bledsoe, Kuratorin, Flöte
Christine Chapman, Horn
Sara Cubarsi, Violine

Programmtext

PETROS OVESPYAN AIRS BETWEEN (2023)

Inspiriert von den Airs der Renaissance und des Barocks ist Airs between eine Reise durch Zeit und Raum. Das viersätzige Stück für Flöte, Horn, Violine und Tonband bezieht das Wort Luft auch in einem breiteren Kontext ein – Luft ist das, was wir ein- und ausatmen, im Grunde das, was uns am Leben erhält. Ein wesentlicher Teil des Klangmaterials, insbesondere in Air I und II, sind die Luftgeräusche, die die Instrumentalisten entweder mit ihrer Stimme oder auf ihren Instrumenten erzeugen. Die Stimme der Instrumentalisten wird auch in verschiedenen Manipulationen eingesetzt, z. B. als Gesang, Flüstern, gutturale Geräusche und manchmal in Kombination mit dem Instrumentalspiel. Air III ist ein Übergangssatz, der mit einem Violinsolo endet, das das Klangmaterial in die Maisfelder von Linum in Brandenburg führt, Air IV, wo 80.000 Kraniche auf ihrem Zug in den Süden eine Pause einlegen. Der Hauch barocker Instrumentalklänge begleiten die Vögel auf ihrem Weg.

 

Biographie

Petros Ovsepyan, armenischer Herkunft, wurde 1966 in Baku/Aserbaidschan geboren und 1979 in die USA eingewandert. Seine Ausbildung (Bachelor’s, Masters und Doctor) machte Petros Ovsepyan in der Manhattan School of Music (New York) und in der Indiana University (Bloomington). 1995 war er mit dem Fulbright Stipendium im Sweelinck Conservatory (Postgraduate Studium) in Amsterdam bei Theo Loevendie.
Lehrer waren u.a. Claude Baker, Brian Ferneyhough, Klaus Huber, Harvey Sollberger und Giampaolo Bracali. Sein Werk umfasst Stücke der Genre: Solo, Kammermusik, Orchester, Chor, Musiktheater, Oper, Elektronik und Multimedia. Eine Spezialisierung ist, den Körper des Performers als Erweiterung des Klanges miteinzubeziehen. Als Beispiele sind Opera and Aria für vier Saxofonen (Gaudeamus Muziektheater Festival, Amsterdam), eineInstrumentaler Oper die innerhalb 45 minuten von Kõrper zum Instrumentalesklang verwandelt, oder II für Klavier Solo (MATA Festival, New York), wo jeder Körperbewegung ein Teil des Klangmaterials des Stückes wird. Das Verhältnis zwischen Klang und Bewegung in diesen Stücken schafft eine Atmosphäre von einer neuen Realität und Wahrnehmung.
Er war featured composer und vertreten bei internationalen Festivals, u.a. Musica Nova (Sofia), Kalv Festival (Kalv-Schweden), MaerzMusik, Singapur Arts Festival, Schreyahner Herbst, Ultraschall, Culturscapes (Basel), Festival Punto Aparte (Spanien), Colón Electronico (Bogota), Gaudeamus Muziektheater Festival (Amsterdam), ISCM Weltmusik Tage (Slovenien), Festival Encuentros (Buenos Aires), Autunnale (Norwegien), Fondation Royaumont (Frankreich), MATA (New York), Gaudeamus Muziekweek und Time of Music (Finnland).
Seine Werke wurden u.a. aufgefuhrt von: Nieuw Ensemble, Klangforum Wien, Ensemble Mosaik, Nouvelle Ensemble Moderne, Ensemble Adapter, Sonar Quartett, l’Itenereire, l’Instant Donné, Doelen, Kairos Quartett und Insomnio.

Am 6. November wird beim Montagskonzert Airs Between, das neue Stück von Petros Ovsepyan, uraufgeführt. Kuratorin Helen Bledsoe erzählt, wie sie den armenisch-amerikanischen Komponisten während ihres Studiums kennenlernte:

„Petros und ich haben zur gleichen Zeit an der Indiana University in Bloomington studiert. Wir lernten uns dort 1988 kennen, er studierte Komposition bei Claude Baker und ich spielte im Ensemble für zeitgenössische Musik. Petros wuchs in der ehemaligen Sowjetunion auf, er sprach also Russisch. Da ich im Nebenfach Slawistik studierte, fühlte ich mich geehrt, als ich mit ihm und den anderen russischsprachigen Studenten abhängen konnte, sie waren sehr geduldig mit meinen Versuchen, Russisch zu sprechen!

Jahre später kam ich an meinem ersten Unterrichtstag in Amsterdam an, und die erste Person, die ich in der Kantine sah, war Petros! Es war völlig unerwartet, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Wir unterhielten uns viel, und ich lernte schließlich seine Musik als Interpret kennen – zunächst seine IV für Flöte, Klarinette und Trompete und The C of Love für Flöte und Gitarre. Im Jahr 2014 habe ich sein Precipitate/Reciperated für Flöte hier im Studio der Musikfabrik uraufgeführt.“

Helen Bledsoe

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Petros OvsepyanPrecipitate/Reciperated (2013)
für Flöte solo

Helen Bledsoe, Flöte

Valerij Lisac, Video und Schnitt
Florian Zwißler, Tonaufnahme

Aufnahme im Studio des Ensemble Musikfabrik vom 14. Dezember 2014

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Georges Aperghis – Black Light (2019)
für Kontrabass
Kompositionsauftrag von Ensemble Musikfabrik mit Unterstützung des Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

Florentin Ginot, Kontrabass

Janet Sinica, Video/Schnitt
Jan Böyng, Schnitt
Stephan Schmidt, Aufnahmeleiter/Bearbeitung

Black Light

Georges Aperghis macht aus dem Kontrabass eine Tabula rasa, indem er die fünf Saiten des Instruments völlig verändert, das sich in eine schwingende Ödnis aus Holz und Metall verwandelt.
Die Skordatur, dunkel, rau und dumpf, wird zu einem Lied der Tiefe:
Wir werden Zeuge eines Rezitativs, in dem der Interpret gegen die Dichte eines Instruments ankämpft, dessen Widerstand auf die Spitze getrieben wird.
In seiner Ohnmacht sucht er nach einem Lichtschimmer, der ein Ausweg sein könnte – oder zumindest ein Weg hindurch.

Florentin Ginot

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Morton FeldmanLast Pieces (1959)
für Klavier

Benjamin Kobler, Klavier

Janet Sinica, Video und Schnitt
Julius Gass, Aufnahmeleitung
Martin Schmitz, Licht

Last Pieces

Die Musik von Morton Feldman ist eine der bemerkenswertesten Erkundungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Zusammen mit Künstlern, Schriftstellern und Komponisten wie Mark Rothko, Philip Guston, Robert Creeley und John Cage trug er dazu bei, das zwanzigste Jahrhundert einem Verständnis sowohl der Natur der Wahrnehmung als auch der Struktur der menschlichen Erfahrung näher zu bringen.
Er lehnte die grundlegendsten Prinzipien des konventionellen musikalischen Diskurses ab und vertrat eine kreative Haltung, in der sich Klänge scheinbar frei in Zeit und Raum bewegen, ohne die Einmischung jeglicher kompositorischer Rhetorik oder a priori Verfahren.
Jede seiner Kompositionen stellt eine sensible Transkription des kreativen Moments dar.
In der Tat ist man oft versucht, sie nicht so sehr als Musikstücke zu betrachten, sondern eher als Handlungen, die dabei sind, zu musikalischen Werken zu werden; als Beispiele für einen Impuls in Richtung der als Kunst bekannten Erfahrung. Seine Kompositionen veranschaulichen die von John Cage erstmals vertretene Position, dass Kunstwerke „…nicht (als) vorgefasste Objekte…(sondern)…Anlässe für Erfahrungen“ geschaffen werden.

Last Pieces ist eine Reihe von vier Kompositionen für Klavier, die 1959 geschrieben wurden. Das erste und dritte Stück werden langsam und leise gespielt, das zweite und vierte schnell und leise (Die beiden letztgenannten Stücke gehören zu den wenigen Fällen, in
denen Feldman Musik schuf, die schnell gespielt werden sollte).
In allen vier Stücken ist die Dauer der einzelnen Klänge frei und dem Ermessen des Interpreten überlassen.
Ausschnitt eines Essays von Thomas DeLio, ursprünglich veröffentlicht in „The Music of Morton Feldman“

Die Zauberin Medea entstammt der griechischen Mythologie und zieht sich als bedeutendes Sujet durch die Kultur- und Musikgeschichte.
Nun widmet sich der amerikanische Komponist Michael Hersch (geb. 1971 in Washington) dem Stoff –
in einem groß angelegten Werk für die Sopranistin Sarah Maria Sun, die Schola Heidelberg und das Ensemble Musikfabrik.

Egbert Hiller sprach mit Michael Hersch über MEDEA. 

Die Uraufführung findet am 3. Juni im WDR Funkhaus statt.

Egbert Hiller: Medea ist eine archaische und mythische Figur. Ich vermute, Sie haben ein besonderes Interesse an dieser Figur und auch eine große Faszination?

Michael Hersch: Ich habe mich immer sehr für Menschen interessiert, die sich in Situationen der Bedrohung befinden, sei es von außen oder von innen, und wie sie – individuell und/oder kollektiv – auf diese Situationen reagieren.
Die Geschichte von Medea ist eine, in der die Bedrohung und ihre Folgen aus allen Richtungen und in fast jeder Dimension präsent sind. Ein Großteil meiner Arbeit in den letzten Jahrzehnten konzentrierte sich auf Bedrohungen und Folgen von innen, in Form von Krankheit. In den letzten Jahren habe ich mich jedoch zunehmend mit Themen befasst, bei denen die Bedrohung und die Folgen der Gewalt von außen eine große Rolle spielen.

EH: Medea ist ein groß besetztes Stück für Sarah Maria Sun, Musikfabrik und Schola Heidelberg.
Können Sie bitte Ihre kompositorischen Grundgedanken für dieses Stück erläutern?

MH: Das musikalische Gerüst für MEDEA hat sich im Laufe des Kompositionsprozesses mehrfach verändert und es hat mehrere Jahre gedauert, es fertigzustellen. Ursprünglich hatte ich es als ein Werk für eine einzelne Stimme und ein Ensemble konzipiert, aber je weiter ich in den Kompositionsprozess einstieg, desto deutlicher wurde, dass sich die Klangwelt ausweitete und auf größere Leinwände drängte. Stephanie Fleischmann und ich beschlossen, dass das Vokalensemble als vielfältiger Charakter dienen sollte, der die Vielzahl der Figuren in Medeas Leben sowie das Gewirr der zerrütteten Elemente in ihrem eigenen Wesen umfasst.
Es war eine Herausforderung, einen Weg zu finden, diese Schichtung von Brutalitäten, sowohl subtil als auch offen, zu erfassen.

EH: Ist Ihre Komposition nah am Text, oder wird die Musik freier sein?
Und reflektieren die instrumentalen Passagen den Text und die Geschichte vielleicht von anderen Seiten?
Haben Sie an der Entwicklung des Librettos von Stephanie Fleischmann mitgewirkt?
Das Libretto konzentriert sich auf Medea, also haben Sie das auch in der Musik berücksichtigt? Oder haben Sie andere Wege gefunden?

MH: Stephanie Fleischmann und ich haben schon früher zusammengearbeitet. Sie und ich teilen bestimmte Sensibilitäten, mit einer Tendenz zur Strenge und der aufrichtigen Hoffnung, dies durch die Partitur zu erreichen, indem wir jeden Exzess ausschließen.
Die Welt des Stücks wurde für uns im Großen und Ganzen durch die Schriften von Seneca und Euripides sowie die von Christa Wolf und unsere Reaktionen darauf geformt.
Die Elemente von Medea ermöglichten eine ständige Überschneidung von Rückblick und drohender Krise. Der Schrecken der Geschichte sorgt auch für eine Art strukturelles Ungleichgewicht, das sich gut für die musikalische Integration und Abkopplung vom Text eignet, manchmal sogar gleichzeitig.
Stephanie Fleischmann hat sich dazu geäußert und bemerkt, dass:„… der Text eine Meditation über die Ereignisse ist, die den Mythos Medea manifestiert haben, sowie eine Erkundung der Auswirkungen dieser Geschichte, die bis in die Zukunft nachhallt.
Ein Blick zurück, um auf jede erdenkliche Weise vorwärts zu kommen. Ein Nachdenken darüber, was es bedeutet, von der Last einer verachtenswerten, gebrochenen Vergangenheit heimgesucht, ja eingeschlossen zu sein … eine Untersuchung über die Konfrontation des Selbst, des Individuums und der Gemeinschaft, über Reue und die Unmöglichkeit, das Undenkbare ungeschehen zu machen.“

EH: Gab es für die musikalischen Details einen intensiven Austausch mit den Interpreten des Stücks?
Wie funktioniert diese Zusammenarbeit für Sie, insbesondere mit den Mitgliedern der Musikfabrik?

MH: Es ist ein großes Geschenk, für die Musiker des Ensemble Musikfabrik komponieren zu dürfen.
Für das Ensemble zu schreiben, erlaubt es einem Komponisten, seine Vorstellungskraft bis an ihre Grenzen zu treiben, da er weiß, dass fast jeder Klang, jede Geste … jede Art der musikalischen Kommunikation mit absolutem Engagement und Gewissenhaftigkeit erforscht wird. Die Gruppe und die Meisterschaft ihrer Mitglieder in Bezug auf Instrumente und Vorstellungskraft bieten endlose Inspiration. Das Spiel des Ensembles war mir bekannt, lange bevor ich die wunderbare Gelegenheit hatte, für sie zu schreiben. In vielerlei Hinsicht habe ich das Gefühl, dass ich mich seit vielen Jahren auf das Schreiben dieses Werks für diese Ensemble vorbereitet habe, indem ich sie unter verschiedenen Umständen und mit verschiedenen Repertoires gehört habe.
Ich bin Sarah Maria Sun, Thomas Fichter und dem gesamten Ensemble außerordentlich dankbar, dass sie mir dieses Projekt anvertraut haben.

EH: Ich denke, Sarah Maria Suns Part wird explizit für sie geschrieben werden.
Was denken Sie über die besonderen Qualitäten ihrer Stimme?
Verkörpert sie eine ganz besondere Medea?

MH: Es ist das erste Mal, dass ich mit Sarah Maria Sun zusammenarbeite, und auch mit dem Ensemble Musikfabrik und der Schola Heidelberg. Die Musik ist sehr spezifisch für die fast grenzenlosen Möglichkeiten der beiden komponiert. Sarah Maria Sun ist sowohl eine bemerkenswerte Musikerin als auch eine der überzeugendsten Bühnenpräsenzen, die es heute gibt, daher ist der Part mit Blick auf diese Eigenschaften geschrieben. Meiner Meinung nach ist ihre Stimme untrennbar mit ihrer kraftvollen Bühnenpräsenz und ihren schauspielerischen Fähigkeiten verbunden, und das Werk versucht, dies zu reflektieren.

EH: Entwickeln Sie auch Ideen für eine szenische – oder halbszenische – Umsetzung?
Sind diese Ideen abstrakte Visionen für die musikalische Inspiration, oder werden sie vielleicht konkret bei der Interpretation des Stücks umgesetzt? Sind diese Ideen eng mit der Musik verbunden?

MH: Während das Stück als Musiktheaterstück beschrieben werden könnte, kann es in einer inszenierten oder nicht inszenierten Weise präsentiert werden. Bei der Uraufführung im Juni 2023 wird es eine Konzertversion sein.
Der grafische Charakter eines Großteils des Textes und der musikalischen Elemente erfordert jedoch keine offene visuelle Umsetzung. Wir versuchen, sowohl abstrakte Elemente als auch solche, die mit verschiedenen Realitäten konfrontiert sind, durch die Musik und den Text zu vermitteln, so dass sie in verschiedenen Aufführungsszenarien gleichermaßen klar oder undurchsichtig sein können.

EH: „Sieh mich an“, das sind die ersten Worte des Librettos, und „Der Sonne entgegen“ die letzten Worte.
Wie beeinflussen diese Worte die Musik? Wie komponieren Sie diese „Sonne“?

MH: Das Stück beginnt mit einer ausgedehnten instrumentalen Ouvertüre, obwohl wir uns bereits im Zentrum eines Kataklysmus befinden. Der Zweck des Stücks ist es, die menschliche Stimme, nicht unbedingt die Vokalstimmen, im gesamten Ensemble mit instrumentalen Mitteln zu reflektieren, bevor die Vokalisten beginnen.
Auch hier finde ich Stephanie Fleischmanns Gedanken zum Text bemerkenswert: „Medea war die Enkelin von Helios, dem Sonnengott. Sowohl bei Euripides als auch bei Seneca flieht sie in einem Wagen, der den Himmel durchquert, vom Tatort.
Bei Euripides sagt sie in zwei kurzen Sätzen, dass es ihr leid tut, was sie getan hat. Aber wie trägt sie die Last ihres schrecklichen Verbrechens über diesen Moment hinaus? Es ist ihre Flucht ‚zur Sonne hin‘, ihre Umarmung des Teilgottes in ihr, die Befreiung von den Gesetzen der Schwerkraft, die uns Menschen belasten, und das Zurücklassen der Körper ihrer Kinder, die sie bis ans Ende der Zeit verfolgt. Könnte sie jemals freigesprochen werden? Von ihrer ersten Anweisung an bittet Medea, und wir bitten darum, dass der Chor, dass Medea selbst und auch das Publikum nicht wegsehen von dem, was geschehen ist.
Dieses Werk ist ein Versuch, nicht wegzuschauen.“

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Francesco FilideiLied per violino (2020)
für Violine solo
Kompositionsauftrag des Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und Ensemble Musikfabrik

Hannah Weirich, Violine

Janet Sinica, Video und Schnitt
Jan Böyng, Schnitt
Wolfgang Ellers, Aufnahmeleitung und Bearbeitung

Lied per violino

Lied ist ein Versuch, ein Gleichgewicht zwischen Klassischem und Aktuellem zu finden. Francesco Filidei nutzt dazu zwei der wichtigsten charakteristischen Elemente verschiedener Epochen: zum einen eine obsessive motivische Arbeit mit puren Tönen und zum anderen, gegen Ende des Stücks, das Geräusch, Symptom einer Störung. Mit der letzten Note des Stücks eröffnet sich ein neuer Horizont.

Francesco Filidei

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Rodney SharmanRemembering John Cage (2019)
für Englisch Horn und Piano/Toy Piano

Peter Veale, Englisch Horn
Ulrich Löffler, Piano/Toy Piano

Janet Sinica, Video/Schnitt
Jan Böyng, Schnitt
Wolfgang Ellers, Aufnahmeproduzent/Mischung

Dieses Video erscheint lange nachdem es produziert wurde. Das ist an sich keine Besonderheit. Bei uns zumindest nicht. Und doch sind die Gründe hier andere.

Dieses Video von Rodney Sharmans “Remembering John Cage” mit Uli erstmals anzuschauen, hat uns tief berührt. Dass noch einige weitere Videos im Entstehungsprozess sind, ist ein wunderbares Geschenk für uns. Danke, Uli!

Rodney Sharman und ich haben beide Anfang der 80er Jahre an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg studiert. Damals waren wir beide an vielen faszinierenden Projekten beteiligt. Als Rod 2021 bei mir anfragte, ob ich Interesse hätte, ein Stück mit Englischhorn und Klavier mit Toy Piano zu interpretieren, war ich sofort total begeistert. Ich dachte auch, wie gut das zu unserem Pianisten Uli Löffler passen würde, der Cages Kompositionen immer mit Hingabe am Toypiano interpretiert hat. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe, die sehr unterschiedlichen Klänge dieser Instrumente zu kombinieren, aber das Ergebnis und das Stück haben mich sehr bewegt.
Peter Veale

Remembering John Cage (2019) wurde vom Duo Ebano (Marco Danesi, Klarinette, Paolo Gorini, Klavier & Toy Piano in Auftrag gegeben und existiert in Versionen für Klarinette, Englischhorn und einer neuen Version für 5-saitige Violine & elektrisches Keyboard/Toy Piano, die speziell für Hannah Weirich und Ulrich Löffler adaptiert wurde. John Cage (1912-1992) war vielleicht der erste, der in den 1940er Jahren Konzertmusik für Toy Piano schrieb. Dieses Stück erinnert an ihn durch die nostalgische Klangfarbe des Toy Pianos und die trügerische Einfachheit und Ruhe, die man in einigen von Cages frühen Werken findet. So wie ein Objekt auf der Bühne aus verschiedenen Winkeln beleuchtet werden kann und je nach Lichtrichtung sein Aussehen verändert, so verändern sich auch die „eingefrorenen“ steigenden und fallenden Töne der harmonischen Reihe, die sich je nach den umgebenden Harmonien in den Violin- und Keyboardstimmen zu verändern scheinen.
Rodney Sharman

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Benjamin PattersonPaper Piece (1960)
für 3 Spieler

Marco Blaauw
Benjamin Kobler
Dirk Rothbrust

Janet Sinica, Video/Schnitt
Stephan Schmidt, Aufnahmeleiter
Martin Schmitz, Licht
Liveaufnahme vom Montagskonzert „UMA BOLA E UM SOL POBRE“ im Oktober 2022

Vergangenen Oktober spielten bei einem unserer Montagskonzerte Marco Blauuw, Benjamin Kobler und Dirk Rothbrust das Werk Paper Piece von Benjamin Patterson. Dieses Stück hat eine faszinierende Geschichte:

Während seines Aufenthalts in Köln im Dezember 1960 schrieb Benjamin Patterson einen Brief an seine Eltern in Pittsburgh und schickte ihnen die Partitur seiner neuesten Komposition namens „Paper Piece„. Diese Arbeit war für Patterson, der eigentlich klassisch ausgebildeter Kontrabassist war, eine radikale Neuerung und forderte fünf Performer auf, verschiedene Blätter Papier zu schütteln, zerbrechen, zerknüllen, reiben, schrubben, drehen, pusten und knallen.

Da er Weihnachten nicht zu Hause verbringen konnte, hoffte er, dass seine Familie das Stück in seiner Abwesenheit mit Geschenkpapier von ausgepackten Geschenken aufführen würde, um Freude und Vergnügen zu haben („However save all the christmas papers, wripping, newspapes, etc. and then you can present it to yourselves, when I send the copy.“) .

Diese frühe Version von Paper Piece wurde später zu einem Standard auf Fluxus-Festivals in den 1960er und 1970er Jahren und verkörperte den Geist der Großzügigkeit und der Suche nach leicht zugänglichen Materialien und Prozessen, die Pattersons Performance- und bildender Kunst inspirierten.

 

Benjamin Patterson. Paper Piece. 1960 ©Ben Petterson
© Ben Petterson
Petterson - Paper Piece Partitur ©Ben Petterson
©Ben Petterson

Benjamin Patterson schreibt in seinem Brief über Paper Piece:

„Ich denke, ihr werdet finden, dass dies wirklich ‚moderne Musik‘ ist. Wie ihr seht, verwende ich in diesem Stück Klänge, die bis vor kurzem noch nicht als ‚musikalisch‘ angesehen wurden. Wenn ihr das Stück jedoch aufführt und genau auf die verschiedenen Klangvariationen und ihr Zusammenspiel achtet, denke ich, dass ihr sie amüsant und sogar unterhaltsam findet. Und mehr muss Musik manchmal nicht sein.“

(„I think you will find that this is really ‚modern music‘. It´s you can see I am using sounds in this piece which until new have not been considered ‚musical‘. However if you performes this and listen carefully to the different varieties of sound and how they work together, I think you will find that they are at least amusing and even enjoyable. And music should be allowed to do no more than that sometimes.“)

 

Den vollständigen Brief von Benjamin Petterson an seine Eltern kann man im MoMA in New York besichtigen.

Wer es jedoch nicht nach New York schafft, kann sich diesen auch online durchlesen unter: https://www.moma.org/collection/works/127512?artist_id=4520&page=1&sov_referrer=artist

 

Im Februar 2023 reisten die Violinistin Malin Grass und der Cellist Benjamin Kautter des Studio Musikfabrik, das Jugend Ensemble für Neue Musik des Landes NRW, nach Bangkok. Zusammen mit dem Princess Galyani Vadhana Institute of Music Youth Orchestra (PYO) wurden vier Call-for-Score Werke größtenteils thailändischer Musiker*innen der letzten zehn Jahre aufgenommen. Die Kooperation der beiden Musikensembles besteht schon seit einigen Jahren und ist ein fester Bestandteil des Kalenders von Studio Musikfabrik. Gekrönt wurde der Besuch durch ein Pop-Up Konzert mit den jungen Musiker*innen beider Ensembles unter der Leitung von Peter Veale

 

Malin Grass, Benjamin Mautter, ©PVG Institute of music
©PVG Institute of music
Peter Veale, Princess Galyani Vadhana Institute of Music, ©PGV Institute of music
©PGV Institute of music

Malin Grass und Benjamin Kautter berichten von ihren einmaligen Erlebnissen:

„Wir hatten eine unvergleichbare Zeit in Bangkok. Am außergewöhnlichsten und schönsten kann man auf jeden Fall den interkulturellen Austausch mit den Musiker*innen des PYO bezeichnen. So herzlich aufgenommen zu werden und die Art miteinander umzugehen haben wir selten irgendwo erlebt.

Ein Beispiel hierfür war das Kammerkonzert, welches gleich zu Beginn des Projektes stattfand: Im ersten Teil des Konzerts konnten wir einen Einblick in unsere eigene Arbeit als Duo geben und am Ende durften wir mit „Pranam II” die wundervolle Welt von Giacinto Scelsi mit Musiker*innen vor Ort gemeinsam erleben. Auch die Möglichkeit, call for score Werke von größtenteils thailändischen Komponist*innen unserer Zeit kennenzulernen und mit dem Princess Galyani Vadhana Institute of Music Youth Orchestra zu erarbeiten und aufzunehmen war für unseren musikalischen Horizont sehr bereichernd.

Alles in allem war es eine wunderschöne Zeit, musikalisch wie menschlich, was nicht zuletzt auch durch die großartige Betreuung und Leitung von Peter Veale und dem Organisationsteam von Ensemble Musikfabrik erfolgt ist.”

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Georges AperghisThe Dong with a luminous nose (2019)
für Helen Bledsoe

Im Auftrag des Ensemble Musikfabrik und unterstützt vom Ministerium für Kultur und Wissenscaft des Landes NRW

Helen Bledsoe, Piccoloflöte

Janet Sinica, Video/Schnitt
Hendrik Manook, Aufnahmeproduzent/Mischung

Einmal ein Dong oder ein Jumbly-Girl sein…

Ein Text von Guido Fischer 

Der Autor des Gedichts „The Dong with a luminous nose“ ist der Engländer Edward Lear. Und in die Literaturgeschichte sollte er vor allem mit seinen Limericks eingehen, die er ab 1846 fleißig schmiedete und veröffentlichte. In „The Dong with a luminous nose“ geht es nun um einen Jungen / Mann namens „Dong“, der sich in seltsames Jumbly-Girl verliebt, das an die Küste gespült wird. Als es verschwindet, klebt sich Dong eine leuchtende Nase ins Gesicht, in der Hoffnung, dass er irgendwann wieder mit seiner Liebe vereint sein wird.

Nun ist Helen Bledsoe, die Flötistin vom Ensemble Musikfabrik, von jeher ein riesiger Edward Lear-Fan. Und als sie dem griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis einmal von ihrer literarischen Passion erzählte, war quasi sofort die Idee für ein Stück für Bledsoe geboren. Schließlich hat sich Aperghis in seinen zahllosen, musiktheatralischen Instrumental- und Vokalstücken immer wieder mit den etwas anderen, surreal anmutenden Erzählformen beschäftigt. Und was für Geschichten von einer geradezu existenziellen Unmittelbarkeit dabei entstehen können, hat Aperghis nicht zuletzt mit seinen legendären „Récitations” gezeigt, bei der eine Solo-Stimme scheinbar nonsensehaft, aber doch beklemmend bis amüsant Laute stammelt, stottert, ein- und ausatmet.

Die Verschmelzung von Text und Musik zu etwas phonetisch neuem Dritten findet sich denn auch in Aperghis‘ „The Dong with a luminous nose“, das er 2019 für Helen Bledsoe und ihre Piccoloflöte komponiert hat. 2021 war sie es auch, die das Stück bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik uraufgeführt hat. „Ich wusste, dass sie sehr gerne Flöte chanté/parlé spielt und dass sie ihre Stimme in verschiedenen Registern einsetzt“, so Aperghis. „Sie erzählte mir auch, dass sie Geschichten und die Texte von Edvard Lear liebt, der wie Lewis Carroll mit Nonsens arbeitet. Dieser Text ermöglicht es mir, mit der Piccoloflöte verschiedene Farben des Chanté/Parlé zu zeigen und von den vokalen Perkussionen zum verständlichen Text überzugehen. Als ich dieses Stück schrieb, dachte ich an Geschichten, die von Kindern erzählt werden, und dank Helen bin ich wieder ein Kind geworden.“

Ob „The Dong with a luminous nose“ aber wirklich jugendfrei ist, wird sich jetzt zeigen. Denn die Widmungsträgerin wird nicht nur Lears Humors auch mit Instrumentalklängen sprechen lassen, sondern von der „offenkundigen Phallussymbolik“ erzählen. „Und vielleicht spiele ich es sogar aus der Perspektive eines Jumbly-Girl…“