Christine Chapman und Marco Blaauw im Gespräch mit Kamila Metwaly, künstlerische Leiterin von MaerzMusik:

Marco Blaauw: Kamila, wie bist du auf die Spuren von Lucia Dlugoszewski gekommen? Wie hast du sie entdeckt?

Kamila Metwaly: Das ist eine interessante Anekdote, denn ich bin durch die Arbeit von Pauline Oliveros auf ihre Arbeit gestoßen. Das Eingangszitat des Buches von Oliveros, „Deep Listening“, ist ein Zitat von Dlugoszewski:

„Das erste Anliegen aller Musik ist es, auf die eine oder andere Weise die Gleichgültigkeit des Hörens, die Gefühllosigkeit der Empfindsamkeit zu erschüttern, jenen Moment der Lösung zu schaffen, den wir Poesie nennen, unsere Starrheit aufzulösen, wenn wir in gewissem Sinne zum ersten Mal hörend wiedergeboren werden.“
Lucia Dlugoszewski

Das war für mich ein neuer Name. Ich kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich habe das Buch gelesen und diese Bemerkung jahrelang völlig vergessen. Dann, eines Tages, saß ich da und dachte nach: „Wer ist sie? Ich habe keine Ahnung, wer diese Person ist.“ Es war dieses spezielle Zitat, das so viel Einblick in das Zuhören im Zusammenhang mit Oliveros bot. Insofern, dass sie den Unterschied zwischen dem rein physischen Akt des Hörens durch den Körper, durch die Ohren, und eher einem momentanen oder einem situierten Zuhören, das von sehr unterschiedlichen Elementen beeinflusst wird, erforscht. Und dann habe ich angefangen, mich mit der Arbeit von Dlugoszewski zu beschäftigen und versucht, die Quelle des Zitats zu finden, das ich absolut faszinierend fand.

Christine Chapman: Was war die erste Musik, die du gehört hast?

KM: Space is a Diamond. Das war umwerfend, ehrlich gesagt. Es war sehr interessant, und gleichzeitig hat mich die anfängliche Recherche beinahe schon abgeschreckt. Das war, bevor das Buch von Amy Beal, Terrible Freedom, herauskam, und es war sehr schwer, mehr Informationen über sie zu finden. Also grub ich weiter und weiter, las hier und da ein paar Geschichten und stieß auf ein paar interessante Artikel in der New York Times. Es hörte sich so an, als sei sie sehr präsent gewesen, aber niemand war in der Lage, die Musik wirklich zu verstehen. Denn wenn man nur ein paar Werke von einer Komponistin hört, kann man nicht wirklich eine vollständige Geschichte der musikalischen Sprache und der Bedeutung ihres Werks konstruieren. Ja, es ist toll, dass Wikipedia schreibt, dass sie Instrumente erfunden hat … Na und? Das bedeutet gar nichts, solange man nicht versteht, welchen Zweck diese Instrumente für sie und ihr Werk haben.

MB: Wie ist dann das Festival MaerzMusik auf das Ensemble Musikfabrik gekommen?

KM: Der Auslöser war eure Arbeit mit Harry Partch. Wir haben lange überlegt, wen wir einladen können, der sich auch auf einen Forschungsprozess einlassen kann. Wer kann ein Projekt übernehmen, bei dem es nicht um die bloße Rekonstruktion oder Präsentation eines Konzertformats geht, sondern um eine umfassende Erforschung der Philosophie des Werks der Komponistin. Denn das ist es, wonach wir gesucht haben. Wir haben versucht, einen geeigneten Mitstreiter und Partner zu finden, der sich mit diesen Fragen auseinandersetzt und dieses Projekt über die bloße Präsentation eines Festivals hinausführt. Eure Arbeit im Allgemeinen und die Offenheit, mit Klang, Form und Musik zu experimentieren, standen also bei der Einladung im Vordergrund. Aber vor allem die Sensibilität, mit der Ihr mit diesen sehr fragilen Geschichten oder Materialien und Konturen arbeitet, war der Hauptgrund, Euch einzuladen. Und deshalb haben wir bei Euch angeklopft, und wir sind sehr froh, dass Ihr unsere Einladung angenommen habt.

MB: Eure Einladung fiel natürlich auf fruchtbaren Boden, denn einige von uns waren Dlugoszewski bereits auf individuellen Forschungspfaden begegnet, und dann liegt da plötzlich dieses fantastische Geschenk auf dem Tisch.

CC: Ich finde es faszinierend, dass du und das Festival uns als Musiker*innen gebeten haben, zu recherchieren, buchstäblich in die Libary of Congress in Washington D.C. zu gehen und eine Woche lang in den Partituren, Noten und Skizzen zu wühlen. Das war eine fantastische Erfahrung für mich als Künstlerin.

KM: Das ist wirklich toll zu hören.

MB: Mich fasziniert auch der Weg zu Konzert. Normalerweise beginnt ein neues Projekt mit Proben, dann spielen wir das Konzert. In diesem Fall beginnt das Projekt mit der Recherche. Es nimmt langsam gestalt an, was spannend ist, weil der Produktionsprozess so anders ist. Wir haben viele Dinge in der Library of Congress entdeckt. Du wirst ebenso bald die Library of Congress besuchen, was erwartest du zu entdecken? Worauf wirst du dich konzentrieren, wenn du sie aufsuchst?

KM: Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht ganz sicher. Die Frage ist, was sind die Geschichten, die all diese Werke vervollständigen und sie miteinander verbinden? Wir können Dlugoszewski nicht in diesem einen zweistündigen Konzert definieren, das wir präsentieren werden. Es ist nur die Spitze des Eisbergs ihrer Arbeit und ihrer Person. Ich denke, es ist eine sehr sensible Arbeit, Komponist*innen wieder in das Repertoire der zeitgenössischen Musik oder der Musik im Allgemeinen einzuführen, ohne in ein Projektdenken zu verfallen, wie „Das ist ein Projekt, und dann machen wir ein anderes Projekt“ – vor allem bei Komponist*innen, die nicht so bekannt sind. Oder die dann die neuen Mavericks der zeitgenössischen Musik werden. Es bedarf Fingerspitzengefühl. Wie stellen wir sie also wieder vor, weil es sie schon immer gab, und wie spannen und präsentieren wir den größeren Bogen, der sie ausmacht? Denn all diese Geschichten, all die biografischen Notizen über ihre Bewegungen, ihre Beziehung zu Erick Hawkins, die Choreografie, ihre eigene Körperlichkeit während der Aufführung und das Timbre-Piano auf der Bühne, all diese Aspekte sind meiner Meinung  nach wesentlich, um die Musik vorzustellen, die ihre philosophische Suche wirklich aufgreift. Vielleicht ist es das, was ich finden möchte: Bruchstücke, die wir verwenden können, um ihr Porträt in Berlin zu konstruieren.
Wie ihr erzählt habt, ist es eine riesige Bibliothek und wir hatten nur eineinhalb Jahre Zeit – was sehr wenig ist, um über jemanden nachzudenken, die ein Repertoire mit Arbeiten besitzt, die bis in die 1950er-Jahre zurückreichen. Und die Werke ändern sich auch. Sie sind nicht statisch – manchmal sind sie es, aber oft wachsen sie auch. Sie werden dekonstruiert, sie werden zu etwas anderem.

MB: Es ist ein bisschen wie das umschreiben der Geschichte: Wir haben die tatsächlichen Ergebnisse ihres Lebens in Kisten, und wir können in sie eintauchen. Es gibt viele Anekdoten… Ich wusste einiges über „Space is a Diamond“, und als ich die „Space is a Diamond“-Box öffnete, fand ich ganz anderes Material, das der Geschichte widersprach, die ich oft gehört hatte. Das Stück wurde eigentlich umfassend geplant und skizziert, dann sorgfältig komponiert und sogar budgetiert. Wir fanden ein kleines Budgetblatt mit Honoraren für die Tänzer*innen, Honoraren für die Choreografie, Honoraren für die Kostüme, Honoraren für den Trompeter. Das ist erstaunlich, und die Skizzen, die sie gemacht hat, sind erstaunlich. Ich finde, sie sind so schön, dass man sie einrahmen könnte.

© Archivmaterial/Courtsey of The Library of Congress and the Erick Hawkins Dance Company

CC: Das wird eine interessante Sache für dich sein, Kamila, denke ich. Es gibt eine unglaubliche Menge an Material aus der Zeit der Produktion. Als sie schrieb, komponierte – sie hatte diesen ganzen Prozess des Skizzierens von Bewegungen, Ideen und Klängen, die als Landkarten bezeichnet werden. Es sind große Blätter. Es sieht ziemlich chaotisch aus, definitiv chaotisch und vielleicht willkürlich. Aber wenn man sie sich eine Weile ansieht, bemerkt man einen echten Sinn für Rhythmus in den Bewegungen auf dem Blatt. Man sieht, wie sehr ein Teil ihres kreativen Prozesses die Bilder aus dem Leben in der Tanzkompanie mit Erick Hawkins waren, wie sie die Körper in Bewegung sah und wie sie das in ihren kreativen Prozess einfließen ließ. Ich glaube, das kann man in einigen dieser Karten sehen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, dass du, wenn du wieder in die Library of Congress gehst, einige der Karten fotografierst oder scannst, die für diese Ideen beispielhaft zu sein scheinen.

KM: Das klingt wunderbar!

CC: Man erfährt auch mehr über einige der Titel der Stücke, die wie eine zufällige Ansammlung von Wörtern wirken, es aber eigentlich nicht sind.

KM: Das ist definitiv etwas, auf das ich neugierig bin: die Herkunft der Titel. Denn es klingt überhaupt nicht zufällig, oder? Hinzu kommt, dass einige der Werke zwei Titel haben, einen für Tanz und einen für die Musik. Ich denke, dass sie als Komponistin ihren eigenen Weg finden wollte. Die meisten dieser Arbeiten wurden jeweils mit Tanz als auch ohne Tanz, als reine Konzertformate, präsentiert. Das ist essentiell, denn sie war nicht einfach nur ein Schatten Hawkins. Das ist absolut faszinierend. Es ist ein wesentlicher Teil ihres Werks. Eine Facette oder Realität, die sehr stark eingebettet ist in viele philosophische Fragen, die ihre Musik, ihr Schreiben, ihre Titel und das, was man in jeder Biografie liest, wenn sie zum Beispiel über „suchness“ spricht, durchziehen. Es ist faszinierend, über ihre Beziehung zum Klang als Quelle und Material nachzudenken und was das für sie bedeutet.

MB: Eine Frage zum Festival – es ist fantastisch, dass ihr die Werke von Dlugoszewski präsentiert. Ist es für euch eher ein Prozess des Schaffens oder ein Prozess des Wiedererschaffens? Kannst du dazu etwas sagen?

KM: Ich denke, es ist beides. Ich denke, es ist auch sehr einzigartig für euch als Ensemble Musikfabrik. Und diese Zusammenarbeit ist mitunter der spannendste Teil des Projekts. Es wird durch eure Anwesenheit einzigartig sein: eure Herangehensweise, eure Lesung, eure Performance – eure Präsenz auf der Bühne zusammen mit dem Tanz. Wir haben uns natürlich viele Gedanken gemacht, und zwar über beides: Einerseits präsentieren wir ihre Arbeiten in einem Kontext, der eine Hommage an ihr Werk darstellt. Und wir hören das Werk als etwas, das in gewisser Weise statisch ist, gebunden an eine Partitur oder an die Interpretation einer Aufnahme. Bei unserem anderen Ansatz ging es darum, all diese Kuriositäten von Dlugoszewski auf vielleicht neue Instanzen und Nuancen auszuweiten. Wir haben darüber nachgedacht, wie man dieses Wissen auch in die – sagen wir – Zukunft übertragen kann. Als wir zum Beispiel Edivaldo Ernesto eingeladen haben, eine neue Choreografie zu kreieren. Wir sahen darin nicht nur eine neue Schöpfung, sondern betrachteten es als neugierigen Blick in die Transzendenz und Transformation der Hawkins/Dlugoszewski-Technik, ihrer Ästhetik, Form und Neuerungen.
Ähnlich wird es auch mit der Musik sein, entweder mit einigen ihrer Werke, die etwas abstrakter sind, oder mit den Auftragswerken. Wir dachten, es wäre auch ein interessanter Moment, Komponist*innen, die nichts über Dlugoszewski wissen, einzuladen, ein Element in ihrer Musik, ihrem Werk, ihrem Klangspektrum und ihrer Philosophie zu finden, das für sie interessant wäre, es zu erforschen. Das ist wirklich schön, denn es gibt dieses Moment, wenn es nichts endgültiges gibt. Wisst ihr, was ich meine? Wir präsentieren keine Exzellenz, wir präsentieren kein bloßes Produkt, das man bewegen kann. Jedes mal, wenn das Ensemble diese Stücke aufführt, bin ich sicher, dass Euch etwas Neues einfallen wird. Vielleicht wird die Aufführung von Space is a Diamond beim nächsten Mal anders sein; sie wird in einen anderen Raum getragen. Wir haben uns erlaubt, mit dem Prozess zu arbeiten.

MaerzMusik 2023 © Fabian Schellhorn

CC: Apropos Prozess – ich bin sehr neugierig, wie die Tanzproben mit Katherine Duke vor ein paar Wochen gelaufen sind. Kannst du uns eine Zusammenfassung geben?

KM: Es war sehr schön, denn es war einerseits ein Vortanzen, andererseits aber auch eine Art Workshop. Katherine hat Erick Hawkins’ Kernkonzepte der Bewegung in Bezug auf den Körper erklärt. Das ist einzigartig für MaerzMusik, weil wir normalerweise nicht produzieren; wir haben diese Kapazitäten nicht. Ich denke also, dass es sehr wichtig ist, dass wir dieses Projekt machen, weil es auch die Art und Weise beeinflusst, wie wir als MaerzMusik arbeiten. Wir werden zu einer anderen Art von Gastgeber*in. Der Audition-Workshop war sehr offen und eine Art Sitzung über die Beziehung zwischen der Komponistin und dem Choreografen. Viele Tänzer*innen sagten, es erinnere sie an ihre klassische Ausbildung. Das macht Sinn: Wir haben es in gewisser Weise mit einem Klassiker und einer klassischen Ästhetik zu tun. Sie waren also neugierig darauf, wie sie ihre Praxis als Tänzer*innen, die in experimentelleren Tanztechniken ausgebildet sind, mit diesem klassischen, für Hawkins spezifischen Ansatz verbinden können.
Katherine Duke wird in den von ihr geleiteten Choreografien so viel wie möglich rekonstruieren, denn wenn man dem Original Tribut zollt, hielte ich es für wichtig, sich auf Erick Hawkins zu konzentrieren. Dazu gesellt sich die Arbeit Edivalo Ernestos in den Choreografien, die er kreiert.

© Archivmaterial/Courtsey of The Library of Congress and the Erick Hawkins Dance Company

Andererseits halte ich es für eine sehr gute Entscheidung, diese zwei Konzerte zu veranstalten: eines, das sich nur auf die Musik konzentriert, so dass die Leute sich ohne optische Ablenkung in Dlugoszewskis Repertoire vertiefen können, und dann einige der Werke mit Tanz zu präsentieren, um auch ihre Kollaborationen in diesem Bereich aufzuzeigen.

MB: Dlugoszewski hat die meiste Zeit ihrer Karriere im Schatten von Erick Hawkins gearbeitet, deshalb präsentieren wir ihre Werke ganz bewusst allein im vollen Licht der Konzertbühne.

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Mazyar KashianTraktat über die Chirurgie (2020)
für Violine und Klavier

Hannah Weirich, Violine
Ulrich Löffler, Klavier

Janet Sinica, Video/Schnitt
Jan Böyng, Schnitt
Stephan Schmidt, Aufnahmeleitung/Mischung

„Logik ist die Feindin der Kunst. Aber Kunst darf nicht die Feindin der Logik sein.
Logik muss der Kunst einmal geschmeckt haben und von ihr vollständig verdaut worden sein.
Um zu behaupten, dass zweimal zwei fünf ist, hat man zu wissen, dass zweimal zwei vier ist.
Wer freilich nur dieses weiß, wird sagen jenes sei falsch.“

(Karl Kraus: Nachts, in: ders., Schriften, Bd. 8, hg. von Christian Wagenknecht, Frankfurt a.M. 1986, S.325)

Um die Logik des musikalischen Geschehens zu hören, muss man geduldig und aufmerksam sein. Es ist eine sehr subtile Aufgabe. Also ohne Hast und Spannung. Diese Komposition formt sich im Sinne eines musikalischen Buchstabierens. Traktat über die Chirurgie ist der Versuch einer formalen Unterbrechung, um die Musik von innen zu sehen. Die Achtsamkeit der ruhigen Hände erfordert eine solch heikle Operation. Sie beruht auf zwei Akteuren, die nebeneinander, gegeneinander und miteinander musizieren und ihr Wesen entfalten.
Und dann, ganz im Hintergrund, neben der geduldigen Annäherung, in der Ferne eine andere kulturelle Auseinandersetzung.

In memoriam Ulrich Löffler

Mazyar Kashian

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ZEITGENÖSSISCHE MUSIK AUS DER UKRAINE

Anton KoshelevLonely courage (2023/24) Uraufführung
für Trompete Solo
Kompositionsauftrag finanziert durch die Kunststiftung NRW

Anna ArkushynaCrown Shyness (2023/24) Uraufführung
für Horn, Trompete und Tuba
Kompositionsauftrag finanziert durch die Kunststiftung NRW

Anna ArkushynaThe Song of Future Human (2015)
für Ensemble

Anna KorsunIn The Cage (2022)
für Streichquartett, Harmonic Canon, Sound Objekte und Metall-Zaun

Marco Blaauw, Trompete, Kurator
Carl Rosman, Klarinette
Christine Chapman, Horn
Maxime Morel, Tuba
Benjamin Kobler, Klavier
Dirk Rothbrust, Percussion
Hannah Weirich, Violine
Juditha Haeberlin, Violine
Axel Porath, Viola, Harmonic Canon
Dirk Wietheger, Violoncello

Programmtexte

Anton Koshelev – Lonely courage

Für mich als Komponist ist der Prozess der „Verbalisierung“ meiner Musik immer mit einer Abwertung des Intimen und wirklich Bedeutungsvollen verbunden.
Man hätte hier über eine Vielzahl von fortgeschrittenen (erweiterten) Techniken schreiben können, über das Wesen des Titels und seine Wechselwirkung mit dem musikalischen Inhalt, über die Besonderheiten der Entwicklung des musikalischen Materials …. einen Traum, der die Bedeutung des Stückes beeinflusst hat – oder ein streng rationales Konzept, das jeden „klingenden Bruchteil“ einer Sekunde unterordnet – nichts davon ist von Bedeutung im Vergleich zu dem einzigartigen Eindruck, den die Zuhörer*innen erleben werden. Musik spricht immer für sich selbst, auch wenn der Komponist es nicht so sieht.

Anna Arkushyna – Crown Shyness

„Crown Shyness“ (Kronenschüchternheit) ist ein faszinierendes Naturphänomen, bei dem sich die obersten Äste bestimmter Baumarten nicht berühren. Niemand weiß mit Sicherheit, ob die Bäume damit die Ausbreitung schädlicher Insekten eindämmen, ihre Äste vor Windbruch schützen oder die Photosynthese maximieren wollen.
Dieses faszinierende Verhalten dient als Metapher für die schwer fassbare Natur respektvoller und distanzierter Beziehungen, deren Pflege für den Menschen eine Herausforderung sein kann. Trotz ihrer Komplexität zeigen selbst Bäume, die nicht wie Menschen denken und reflektieren können, mühelos diese Form des gegenseitigen Respekts.
Dies sollte den Menschen eine Mahnung sein, wenn sie Entscheidungen treffen, wie groß oder klein sie auch sein mögen, und sie sollten betonen, wie wichtig es ist, Grenzen zu respektieren und gesunde Beziehungen zu pflegen.

Anna Arkushyna – The Song of Future Human

Der Titel des Stückes ist inspiriert von den überlieferten Traditionen und Bräuchen der afrikanischen Ureinwohner.
Er bezieht sich auf die Erfahrung einer Frau, die sich nach der Entscheidung, ein Kind zu gebären, an einen abgelegenen, ruhigen Ort zurückzieht, um sich auf die Klänge der Natur einzustimmen, bis diese eine Melodie für das ungeborene Kind hervorbringen.
Diese Melodie wird dann zum ständigen Begleiter der Mutter und des Neugeborenen, zu einer Art Schlaflied. Im weiteren Verlauf des Lebens entwickelt sich die Melodie zu einer symbolischen Repräsentation des Individuums, die es auf seinem Lebensweg begleitet, bis es stirbt und sich in eine Trauermusik verwandelt, die von einer zusammenstehenden Familie gespielt wird.

Anna Korsun – In The Cage

In the Cage ist mein erstes Stück, das ich nach dem Krieg in meinem Heimatland geschrieben habe. Ich konnte es mir endlich wieder leisten zu komponieren.
Dank der großen Motivation des Quartetto Maurice, das dieses Stück in Auftrag gegeben hat, konnte ich es schaffen.
Des Weiteren wurde das Werk vom Deutschen Musikrat im Rahmen von Neustart Kultur gefördert.

Marco Blauuw im Gespräch zu seinem Montagskonzert „In the Cage„– über seine Beweggründe sich mit zeitgenössischer Musik aus der Ukraine zu beschäftigen und seine Zusammenarbeit mit den Komponist*innen Anna Arkushyna, Anton Koshelev und Anna Korsun:

Warum beschäftigst du dich jetzt mit Künstler*innen und Komponist*innen zeitgenössischer Musik aus der Ukraine?

Marco Blaauw: Es ist schon zehn Jahre her, dass die Krim überfallen wurde. Und jetzt hat sich seit zwei Jahren der Krieg über das ganze Land ausgebreitet und eigentlich ist die ganze Welt mehr oder weniger involviert. Es wird aber immer weniger in den Medien thematisiert, so meine Empfindung.
Ich selber habe das Gefühl, dass wir als Zuschauerinnen und Zuschauer nicht so richtig wissen, was wir tun können.
Ich glaube, unsere mächtigste Waffe gegen den Krieg ist vielleicht die Kultur, in unserem Fall die Musik.
Deswegen habe ich seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 22, angefangen, mich viel mehr mit der Neuen Musik aus der Ukraine zu beschäftigen. Ich habe dafür auch Hilfe bekommen unter anderem von Anna Korsun – sie hat mir eine Art Wegweiser gegeben.
Ich war auch der Ansicht, dass es gut und wichtig wäre, Komponist*innen aktiv zu beauftragen.
Anfangs konnte ich mit einem eigenen Budget Anton Koshelev einen kleinen Auftrag geben. Adrian Mokanu bekam danach einen, finanziert von der I&I foundation und uraufgeführt im Rahmen des Konzerts “Wavespace” im letzten November. Mithilfe der Kunststiftung NRW konnte ich dann Aufträge an Anna Korsun, Anna Arkushyna und einen weiteren an Anton Koshelev vergeben. 

Wie ist die Zusammenarbeit bisher?

MB: Die Arbeit von Anton Koshelev wird sehr bestimmt von den Folgen des Krieges. Er musste sein Zuhause in Odessa verlassen und konnte in der Schweiz aufgenommen werden. Die Hochschule Luzern hat ihm geholfen, dort eine Wohnung zu finden und sein Leben langsam aufzubauen. Aber ich merke, wie schwer das ist. Die Arbeit kommt dementsprechend langsam voran. Er hat vieles vor, aber es ist sehr schwierig, in diesen Umständen etwas konkret umzusetzen. Es ist ja klar, wenn deine Wurzeln aus der Erde gezogen werden, dann hat man wenig Halt und man schwimmt erstmal im Geist und auch im Körper. Man kann gar kein Fuß fassen – die Familie ist weit weg, die Sprache ist fremd, die Kultur ist fremd. „Wo bin ich?“ ist die große Frage. Das äußert sich in seinem Fall auch im Komponieren, indem er ständig nach der richtigen Sprache sucht. Wir stehen seit 2022 oft im Austausch. Er hat mir immer wieder Skizzen geschickt, über die wir sprachen, die ich auch versucht habe aufzuführen – ein Konzert gab es auch schon.
In der ersten Fassung seines Solowerks Lonely courage hat er bewusst zwei ganz unterschiedliche Notationsweisen benutzt. Eine Grafische, in der auch viel Sprache enthalten war, und eine, so wie wir es kennen, in konventioneller Notenschrift. Nach der ersten Probe war er damit unglücklich und hat weitergeforscht. Jetzt ist die Partitur eine Art Mischung von beiden Notationssprachen.
Auch mit Anna Arkushyna ist die Zusammenarbeit super interessant. Sie ist eine sehr produktive Komponistin. Sie lebt in Graz und hat dort auch studiert. Bevor sie mit dem Trio Crown Shyness anfing, war sie beim IRCAM in Paris.
Es ist das erste Mal, dass sie Kammermusik für Blechbläser komponiert. Man merkt an allem, dass sie schon sehr erfahren ist. Sie schreibt vor allem für Stimmen. Das, was sie sich für uns Blechbläser vorgestellt hat, ist sehr einzigartig, virtuos und farbenreich, war aber nicht alles physisch für uns umzusetzen. Nach der ersten Probe hat sie viel korrigiert und  umgeschrieben. Das ist aber normal in so einem Prozess. 

Sind denn die Themen, die du vorhin angesprochen hast, z.B. Verlust und Entwurzelung, was gerade alle drei Komponisten umtreibt? 

MB: Ich bin da sehr zögerlich.Es ist ja unser Blick auf die Situation. Wir schauen auf die Ukraine als ein großes Land, aber es ist natürlich ein Land mit vielen Kulturen und unterschiedlichen Sichtweisen, unterschiedlichen Beziehungen zum Krieg. Was, glaube ich, aber extrem wichtig ist und was wir als Musikfabrik vielleicht noch mehr machen können, ist, diese kulturellen Änderungen, Entwicklungen und Reaktionen auf den Krieg zu verstärken und thematisieren. Ich habe das Gefühl, wir könnten da noch viel mehr lernen und so vielleicht auch vielen Ukrainer*innen eine Stimme geben.

Es ist eine absolut grausame Situation, aus der es momentan eigentlich kaum einen Ausweg zu geben scheint. Und wie überlebt man eigentlich? Wie kann man alles was da passiert, so viel Destruktion, verarbeiten? Ich glaube immer noch, dass Musik ein ganz kräftiges Werkzeug ist, um Traumata zu verarbeiten, es kann helfen Abstand zu gewinnen und vielleicht sogar etwas zu verstehen, oder auch einfach nur Trost bieten. Ein Mensch braucht Trost und Schönheit, sonst gibt es keinen Grund mehr, in die Zukunft zu schauen.

Wir hören in dem Konzert zwei Werke von Anna Arkushyna „The Song of Future Human“ aus dem Jahr 2015 und eine Uraufführung von „Crown Shyness“ aus diesem Jahr. Hast du schon in beide Stücke reingehört und kannst sagen, ob sich in ihrem Werk irgendwas verändert hat? Oder worin sie sich unterscheiden?

MB: Das würde ich die Komponistin gerne fragen. Ich kann das nicht momentan nicht beurteilen, aber das ist eine interessante Frage für sie bei der Einführung, bei der alle drei anwesend sein werden.
Ich habe viele Werke von ihr gehört und bin ihre Werkliste möglichst genau durchgegangen. Es ist viel zugänglich im Internet, auf YouTube und Soundcloud. Zusammen mit Maxime Morel habe ich Werke selektiert, was interessant und passend wäre. Und dann habe ich geguckt, was gerade im Ensemble zu uns passt. Also, wer von den Musiker*innen steht zur Verfügung und wie können wir Kolleg*innen involvieren. So wurde das Werk ausgesucht. 

Und wie bist du auf Anna Korsun gekommen?

MB: Annas Werk kannte ich schon. Ich wusste, dass sie oft zum Unterrichten in Amsterdam ist. Ich finde sie ist eine super interessante Komponistin. Deswegen war es für mich relativ einfach, dort Kontakt herzustellen. Gesprochen haben wir uns direkt nach dem russischen Angriff im Jahr 2022 – was immer noch so absurd klingt, wenn man das sagt. Es kann doch nicht wahr sein, dass das wirklich passiert ist, aber es ist so.  Es ist danach auf einmal sehr viel in den Gang gekommen für die ukrainische Kultur. Ich befürchte aber, dass das Interesse nachlässt, weil der Krieg länger dauert. Es gibt aber überhaupt keinen Grund, da irgendwie nachzulassen. Ganz im Gegenteil: Wenn wir jetzt genauso viel investieren würden in die Kultur wie in Waffen, dann wäre ich sehr neugierig, was passieren würde. Auf menschlicher Ebene, aber auch für die Identität der Ukraine. Ich glaube, diese würde viel stärker dastehen, wenn sie mehr Präsenz hätte.

Ist das auch dein Ziel mit diesem Konzert? Die Präsenz der Ukraine steigern?

MB: Naja, also ein Montagskonzert kann nicht so viel bewegen. Aber es sind kleine Tropfen, winzig kleine Tropfen. Und für mich ist es persönlich super interessant, immer neue Kulturen kennenzulernen. Aber auch neue Komponist*innen kennenzulernen, neue Musiksprachen kennenzulernen und zu sehen, was wir da beitragen können.
Es geht in dem Konzert darum, die Stimmen hörbar zu machen.

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Anthony Braxton – Composition No. 169 (1992) Europäische Erstaufführung
für Blechbläserquintett und konstruierte Umgebung

Bruce Collings, Kurator, Posaune
Marco Blaauw, Trompete
Christopher Collings, Trompete
Christine Chapman, Horn
Maxime Morel, Tuba

Programmtext

Composition No. 169 ist eine trizentrische Komposition, die für fünf „Beziehungen“ komponiert wurde, die je nach den Erfordernissen des Augenblicks auf eine beliebige Instrumentierung angewendet werden können.
Die Fertigstellung dieses Werkes soll die Ankunft einer neuen Klasse von strukturellen Materialien und Strategien ankündigen, deren Bedeutung einen Einblick in die ganzheitliche Vernetzungsdynamik meines Musiksystems sowie in die mechanischen Unterebenen-Assoziationen geben, die zukünftige architektonische Zielsetzungen in meiner Arbeit
definieren werden.

Mit dem Begriff „trizentrisch“ beziehe ich mich in diesem Zusammenhang auf die Entwicklung einer Notationssprache, die den Zustand meines laufenden Musiksystems aufzeigt – als ein dreifaches Schwingungs-/Klang-/Fantasieangebot, das zusammengesetzte explorative Annahmen und Schwingungsassoziationen zulässt.

Das heißt: Seit 1985 bin ich dazu übergegangen, mein Gesamtwerk als eine einzige musikalische Einheit zu betrachten, die mit einem riesigen Baukasten verglichen werden kann, in dem alle fünfhundert (und einige mehr) Kompositionen aus meinem Werkkatalog in beliebiger Reihenfolge miteinander verbunden werden können – ganz oder teilweise – und dazu verwendet werden können, die Bedürfnisse (und/oder Vorgaben/Ziele) des jeweiligen Interpreten zu erfüllen.

Die Entwicklung einer trizentrischen Notation war dann der logische/unlogische nächste Schritt in dieser Entwicklung.
Mehr und mehr denke ich nicht mehr in Begriffen von isolierten Musikkompositionen und/oder Strategien, sondern was sind die „Bedürfnisse“ des Musiksystems auf seiner eigenen Ebene – basierend auf den inneren (projizierten) Implikationen des Modells.

Das Konzept einer trizentrischen Notation ist der Beginn einer transinstrumentalen Richtlinie, die auf jede Eingabequelle angewandt werden kann (und die weit über die heutigen Konzepte der instrumentalen Beteiligung hinausgeht und auch Annahmen über die Beteiligung an zusammengesetzten Interaktionen umfasst).

Composition No.169 wurde als Teil einer laufenden Bemühung konzipiert, die Komponenten dieser ästhetischen Richtlinie zu erfüllen – dieses Werk ist die erste vollendete Tri-Struktur, die „ganzheitliche Mechanismen“ demonstriert und als „tunnel connection routing“ bezeichnet wird.
Composition No.169 ist dem Meisterkomponisten, Wissenschaftler, Visionär und Instrumentalisten George Lewis gewidmet.

Composition No.169 ist ein „identity prototype“ Kontinuum, das Staccato-Linien (Logik) Verteilungsstrategien mit intervallischen (fokussierten) Unterebenen-Manipulationen (Interjektion) Strategien demonstriert.
Dieses Werk zelebriert die „Gleichgewichtsinitiativen“ von Expansion und Kontraktion im Sinne seines gesamten Gestaltungs- und Funktionsspektrums.

Als systemgenerierende Struktur versucht das Werk, einen Kontext aktiver Staccato-Prämissen aufzuzeigen, die sich in den
größeren Raum der Musik ausdehnen.

Wir haben es hier mit einem Kontinuum klanglicher Aktionen zu tun, die das Wunder der „forth House aspirations“ in meinem Musiksystem – also dem Haus von Zakko – detailliert beschreiben.

Hier gibt es ein Klanguniversum, das sich in den „Moment“ der Musik hinein erstreckt, um einen rigorosen synchronen und oppositionellen Diskurs zu demonstrieren, der neue Interaktionserfahrungen und „Schwingungsinput“ ermöglicht.

Als trizentrische Struktur ist Composition No.169 so konzipiert, dass sie sich in die erweiterten „Schaltkreise“ des zusammengesetzten Musiksystems einfügt.
In diesem strukturellen Universum gibt es die Möglichkeit von Multi-Verbindungs-Eingangsstationen und dynamischem Aktivismus.

In der Sprache der Modelleisenbahn ist Composition No.169 ein Gleis mit mehreren Weichen, das zwölf verschiedene Hauptstrecken oder Trajektorien verbindet (einschließlich lokaler und schneller Umsteigeverbindungen).
Als poetisches kontinentales formales Schema (Struktur) entspricht Composition No.169 dem Haupt- oder Zentralbahnhof im Zentrum einer mittelgroßen Stadt oder Gemeinde – im Nationalstaat Zakko Land.

Composition No.169 wurde konzipiert, um die zusammengesetzten Qualitäten meines sich entwickelnden Musiksystems zu demonstrieren.

Eine vollständig „engagierte“ (das gesamte System betreibende) Aufführung des Werks führt die räumlichen Implikationsstrategien von Composition No. 82 für vier Orchester (1979) fort, indem Composition No.169 richtungsbezogene (trajektoriale) Informationseingangsverbindungsspezifikationen enthält, die eine individuelle „Circumfrence“-Zielsetzung und richtungsbezogene „Porthole“-Transferverbindungen (d. h. Zirkularität) ermöglichen.

Jeder Instrumentalteil in der Zusammensetzung No.169 enthält eine zusätzliche 360-Grad-Richtungsnotation (Informationscode), die die kreisförmige Rotationsposition (Abtastung) und die vertikale Richtung des Instruments (Höhe) bestimmt.
Alle diese Techniken sind für Echtzeit-Interaktionserfahrungen und -strategien konzipiert.

Die Herausforderung dieser Geräte wird hoffentlich eine Rolle bei der Neudefinition der Bandbreite und des Umfangs kreativer Orchestermusik im dritten Jahrtausend spielen.

Meine Absicht war es von Anfang an, einen transformativen Zustand von Betriebsmaterialien und Ideen zu konstruieren, die eine organische, ganzheitliche und systemische Ausstrahlung haben.
Die Einführung dieser strukturellen Merkmale (Optionen) kann als Versuch gesehen werden, die Dimensionen der
akustischen und räumlichen Interaktion „Synergie – für Echt-zeit-Performance, auf der Tri-Ebene“ zu erweitern.

 

Anthony Braxton

Ende Januar 2024 wird unser Posaunist Bruce Collings in den Ruhestand gehen.

Bruce Collings mit Posaune © Janet Sinica
Bruce Collings © Janet Sinica

Nachdem er regelmäßig als Gast bei uns aufgetreten war, wurde Bruce in der Konzertsaison 1995/1996 Mitglied. Bei einigen seiner ersten Projekte wurde er nicht als Posaunist engagiert, sondern sprang auf dem Euphonium ein. Zwei bemerkenswerte Stücke sind erwähnenswert: ein komplexes Werk von James Dillon und ein Blechbläserquintett von Hans Werner Henze. Beide Stücke waren extrem in Bezug auf Register, Virtuosität und Mikrotonalität und ein echter Test für seine kammermusikalischen Fähigkeiten. Diese Herausforderungen zeigten sein ganzes Talent, seine Leidenschaft, Motivation, Entschlossenheit und Ausdauer. Eine perfekte Ergänzung für das Ensemble!

Während seiner gesamten Karriere verband Bruce seine Position im Ensemble mit seiner Tätigkeit bei den Bergischen Symphonikern. Das Orchester verlangte von ihm die Beherrschung klassischer Fertigkeiten, die den Orchesterklang, die Artikulation und die Interpretation des bekannten Repertoires umfassten. Das Ensemble Musikfabrik verlangte das Gegenteil: etwas Neues und anderes für jedes Stück. Um beide Positionen unter einen Hut zu bringen, musste Bruce zwischen Solingen und Köln hin- und herpendeln, um oft vormittags mit dem Orchester und nachmittags mit dem Ensemble zu proben, um dann am Abend für das Orchesterkonzert zurückzukehren.

Dieses breite Spektrum an Fähigkeiten, kombiniert mit Flexibilität und guter Ausdauer, in einer Person zu finden, ist einzigartig und machte ihn zu einem der herausragendsten Posaunisten, was in Einladungen von anderen führenden Ensembles für Neue Musik in Europa gipfelte.

Es ist unmöglich, alle Projekte zu nennen, bei denen Bruce eine wichtige Rolle gespielt hat. Dennoch ist es wichtig, ein paar hervorzuheben:

DRY–TSAYN

Die Tournee und CD-Produktion von Karlheinz Stockhausens MOMENTE im Jahr 1998 wurde von Rupert Huber dirigiert, wobei der große Komponist selbst als Klangregisseur fungierte. Bruce’ Kontakt mit Stockhausen weckte ein Interesse an seinem Repertoire, das blieb und wuchs und in den szenischen Aufführungen von MICHAELS REISE (2008) und SONNTAG AUS LICHT (2011) seinen Höhepunkt fand.

Karlheinz Stockhausen – Sonntag aus Licht  ©Klaus Rudolph

In seinem Opernzyklus LICHT gibt Stockhausen der Posaune in der Rolle des Protagonisten Luzifer eine bedeutende Solorolle, die das Auswendiglernen von Choreografien und komplexen musikalischen Teilen erfordert.

Bruce hat viel in die Entwicklung dieser Rolle investiert. Sein Klang, seine Energie und seine Interpretation gaben Luzifer eine neue Stimme. Diese Aufführungen wurden auf CD und Video dokumentiert und sind nun ein wertvolles Beispiel für künftige Generationen von Posaunist*innen.

Ein wesentliches Merkmal der Luzifer-Figur ist seine Besessenheit vom Zählen der Zahlen bis dreizehn. Bruce’ amerikanischer Akzent gab der deutschen Zahl einen einzigartigen und unvergesslichen Klang.

DREIUNDVIERZIG

Das Projekt DELUSION OF THE FURY, ein Musiktheaterstück des Komponisten Harry Partch, war eine ganz neue Herausforderung für das Ensemble, nicht zuletzt für Bruce.

Harry Partch – Delusion of the Fury  © Klaus Rudolph

Regisseur Heiner Goebbels besetzte Bruce in beiden geheimnisvollen Geschichten mit Schlüsselrollen: Als Geist eines alten Kriegers in dem Noh-Drama und als blinder Richter in der afrikanischen Erzählung. Beide Rollen offenbaren unbequeme Wahrheiten.

In Delusion of the Fury verlangte der Komponist von den Musiker*innen, dass sie singen und schauspielern, was eine spannende, aber schwierige Herausforderung ist. Dem Regisseur ist es gelungen, die Musiker*innen der Musikfabrik in Rollen zu besetzen, die nicht auf schauspielerischen Fähigkeiten, sondern auf den im Ensemble vorhandenen Charaktereigenschaften basieren. So wie wir Bruce als Kollegen kennen, schienen seine Rollen perfekt zu passen!

PROMETHEUS

Wir erinnern uns an eine andere Rolle: die bewegende Szene in der Produktion KUNST MUSS (ZU WEIT GEHEN) oder DER ENGEL SCHWIEG. Der Komponist Helmut Oehring stellte Bruce auf ein hohes Podest. In seiner berühmten Lotus-Yoga-Haltung steht er einem kleinen Jungen gegenüber und erzählt, wie die Posaune zu einem wesentlichen Teil seines Lebens wurde.

Helmut Oehring – Kunst muss (zu weit gehen)  ©Paul Leclaire

Der Junge denkt über seine Worte nach und verweist auf Prometheus, „Prometheus – das bedeutet: der Vorausdenkende – hat ja nicht das Feuer vom Himmel geholt, nur damit die Wurstbratereien ihre Geschäfte machen können; er hat es geholt, auf dass die Erde brenne, und er war ein listiger Titanensohn. Wenn die Tabu- Durchbrechung in den Händen der Wurstelbrater eine schicke und dolle Sache geworden ist, an der die Bourgeoisie immer mehr Gefallen findet und immer mehr Geld verdient, muss die Kunst zurückgehen; oh nein, nicht das Feuer in den Himmel zurückbringen, aber listig wie alle Vorausdenkenden, muss sie einen Weg suchen und finden, was frei, geordnet, untröstlich, auch poetisch an der Liebe ist, möglicherweise auf dem Umweg über die Keuschheit vor den zerklimperten Freiheiten zu retten.“

Mit einem scharfsinnigen philosophischen Kommentar eines kleinen Jungen bringt der Komponist Bruce auf den Punkt und enthüllt die wahre Absicht hinter seinem Spiel: die Freiheit zu suchen, zu finden und zu bewahren! Während des Monologs illustriert Bruce die Worte mit Mahlers ikonischem Posaunensolo aus der Dritten Symphonie. Die Posaune wird zu einem heiligen Instrument. Sie kann die Welt in Brand setzen!

Das Alte Testament verweist auf den Klang posaunenartiger Schofare, die die Mauern von Jericho niederreißen. Oder sollten wir ein wenig bodenständiger denken?
Die Posaune wird zum Vehikel, um durch die Welt zu ziehen, sich in Deutschland niederzulassen und eine Familie zu ernähren. Ein Megaphon zur Selbstdarstellung, um verrückte Klänge zu erzeugen, die Reibung verursachen, voller Hitze, die wir mit Feuer assoziieren.
Unsere Ohren brennen.

HERMES

Erinnern Sie sich an seine Anfänge im Ensemble? Als virtuoser Euphoniumspieler?

Seitdem hat er kontinuierlich daran gearbeitet, seinen Horizont zu erweitern und seine Fähigkeiten zu erhalten und auszubauen. Bruce’ Feuer ließ ihn immer wieder üben – er versuchte, sein Spiel präziser und genauer zu machen, und gab niemals auf, wenn sein Part unmöglich zu spielen schien – er übte vor, nach und sogar während der Proben!

Die Posaune wird oft als ein langsames Instrument mit ihrem endlosen Zug von sieben Positionen wahrgenommen. In den Händen von Bruce wird sie jedoch zu einer agilen und schnellen Stimme.

Es war, als trüge er die geflügelten Schuhe des Hermes, als er die Musik von Frank Zappa solo spielen durfte – jetzt auf unserer CD „Frank Zappa, Bad Doberan & Elsewhere“.

Diese Intensität ist auch in der Art und Weise zu hören, wie er über die Posaune spricht.

Seine informationsgeladenen Worte fließen nonstop und in hohem Tempo.

Das Problem ist …

George Lewis und Bruce Collings © Brian Slater / HCMF

Manchmal wurden die Ohren junger Komponist*innen rot und ihre Augen groß, wenn sie von den zahlreichen Möglichkeiten, die Bruce auf seiner Posaune anbot, überwältigt wurden, und sie verließen den Raum oft verblüfft und voller Ehrfurcht. Viele etablierte Komponist*innen haben all diese reichen Quellen dankbar genutzt, um ein Repertoire mit neuen Klängen auf der Posaune zu schaffen. Liza Lim, Georg Friedrich Haas, George Lewis, Enno Poppe und Rebecca Saunders, um nur einige große Namen zu nennen, schrieben bedeutende Partien für Bruce.

Und wenn Sie, liebe*r Lesende, Posaunist*in sind, der oder die mit scheinbar unlösbaren Problemen zu kämpfen hat, fragen Sie Bruce! Es wird eine einmalige Gelegenheit sein, jemanden zu treffen, der so viel Feuer hat, um Probleme zu lösen oder Wege zu finden, sie zu lösen.

Bruce wird mit Ihnen diskutieren und üben, bis die Passage reibungslos funktioniert, bis das Unmögliche möglich wird, und Sie erhalten ein freundliches Lachen und viele Tipps und Ideen.

HEPHAESTUS

Ich kann diese kurze Hommage an meinen Kollegen nicht beenden, ohne die Dämpfer zu erwähnen. Den meisten Leser*innen dieser Broschüre dürften diese Gegenstände, die Blechbläser in den Schallbecher einsetzen, um die Klangfarbe zu verändern, unbekannt sein. Normalerweise sind die Dämpfer aus Aluminium und haben seltsame, aber spannende Formen. Es erfordert viel Geschick, ja sogar Akrobatik, sie einzusetzen oder herauszunehmen, während man im Fluss der Musik spielt (wobei die Komponist*innen oft vergessen, genügend Zeit einzuplanen …)

Bruce hat große Fähigkeiten entwickelt, um dies zu bewerkstelligen, und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er es nicht schaffte, klangen die Dämpfer großartig, wenn sie auf den Boden fielen.

Die Form eines Dämpfers kann an eine Blumenvase erinnern, wie ein Kollege des Ensembles bemerkte, als er sich während der bereits erwähnten Momente-Produktion langweilte. Mitten in einer Aufnahmesession füllte er Bruce’ Dämpfer mit fast zwei Litern Wasser, ein Streich, den Bruce professionell vor der gesamten Crew zu verbergen wusste.

Wir sind uns nicht hundertprozentig sicher, aber wir schätzen, dass Bruce’ Neugier auf Klangfarben ihn dazu gebracht hat, die größte Posaunendämpfersammlung Deutschlands anzulegen. Wir sind nie überrascht, mindestens fünf Dämpfer neben seinem Stuhl zusehen, obwohl der Komponist nur nach einem fragt, der jeweils nur eine Handvoll oder sogar nur einen Ton bedienen soll. Es werden keine Mühen gescheut, um das Beste aus den Möglichkeiten der Posaunenstimme herauszuholen.

ZEUS

Bruce’ Karriere beim Ensemble Musikfabrik geht zu Ende, und wir alle weinen.

Wir sind viel gereist, haben unzählige Stunden an den Tischen zahlreicher Restaurants verbracht, Geschichten geteilt, Lebenszeiten geteilt und unsere Leidenschaft für Klänge und Musik (nicht immer die gleiche) geteilt. Gute Zeiten und schlechte Zeiten, faule Zeiten und schwere Zeiten, anspruchsvolle Musik und leichte Musik, Meisterwerke und Werke, die wir längst vergessen haben.

Wir haben zahllose magische Momente geteilt, in denen wir die Stille durchbrochen haben – völlig synchron in Zeit, Stimmung und Dynamik – ohne erkennbares Signal, wann es losgehen soll, einfach synchron durch gemeinsames Atmen. So etwas kann man nur mit jemandem machen, mit dem man schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet.

Das werden wir vermissen!

Bruce war 28 Jahre lang Mitglied.
Was ist aus der Zeit geworden?
Es braucht eine neue Orientierung und Mut, um voranzukommen.
Inspiration können wir bei unseren Philosophen und Denkern finden. Die Philosophie kann uns helfen, all diese Ereignisse zu verarbeiten. Deshalb habe ich einige berühmte Zitate unserer Ahnen zusammengestellt, die uns helfen sollen, die aktuelle Situation zu akzeptieren.

„Ich finde es wirklich tragisch, wenn die Menschen sich über Dinge aufregen. Es ist so absurd, irgendetwas wirklich ernst zu nehmen … Ich bemühe mich ehrlich, nichts ernst zu nehmen: Ich habe mir diese Einstellung zurechtgelegt, als ich achtzehn war, ich meine, was bedeutet das alles, wenn man es genau nimmt, was ist die Geschichte hier? Am Leben zu sein ist so seltsam.“
— Frank Zappa

„Nichts hat Bestand außer der Veränderung.“
— Heraklit

„Die Zeit verändert uns nicht. Sie entfaltet uns nur.“
— Max Frisch

„Die Zeit fliegt wie ein Pfeil, das Obst fliegt wie eine Banane.“
— Anthony G. Oettinger

„Wie konnte es nur so schnell so spät werden?“
— Dr. Seuss

„Je mehr Sand durch die Sanduhr unseres Lebens gelaufen ist, desto besser sollten wir durch sie hindurchsehen können.“
— Niccoló Machiavelli

„Es ist das lange Betrachten der Dinge, das dich reifen lässt und dir einen tieferen Sinn gibt.“
— Vincent Van Gogh

„Es gibt nur zwei Dinge, die man sich merken sollte. Nummer eins … Nicht aufhören, und Nummer zwei: Weitermachen!“
— Frank Zappa

„Ich habe Zeit, um ihn reinzustecken, aber nicht um ihn rauszunehmen.“
— Bruce Collings

Lieber Bruce,
danke für Deine Musik, Deine Motivation und Deine Faszination!
Sie werden immer Teil der epischen Geschichte des Ensemble Musikfabrik sein.

Marco Blaauw

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Lockdown Tape #9 – George Lewis: Oraculum (2016)

Bruce Collings, Posaune

Janet Sinica, Video

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Toshio Hosokawa – Arc-Song ( 2002/2012)
für Oboe und Harfe

Malika Kishino – Monochromer Garten VI (2015)
für Viola Solo

Hermione Johnson – Shaking in the Garden (2021) Deutsche Erstaufführung
für Oboe und Viola

Younghi Pagh-Paan – schweigend lauschen (2019)
für Englischhorn solo

Toshio Hosokawa – Neben dem Fluss (1982)
für Harfe Solo

Malika Kishino – Nox (Orange and Blue) (2022) Uraufführung
für Oboe und Harfe

 

Peter Veale, Oboe, Englischhorn und Kurator
Mirjam Schröder, Harfe
Axel Porath, Viola

Texte

Toshio Hosokawa – Arc-Song

Die Oboe zeichnet eine bogenartige Klanglinie, als wäre sie der Pinsel, getränkt mit  Tinte, einen Strich auf weißem Papier (Schweigen) schreibend. Diese Klanglinie entsteht aus dem Schweigen und kehrt ins Schweigen zurück.
Das Musizieren bedeutet für mich, einen musikalischen Bogen von hier zur anderen Welt (zum Schweigen) zu schlagen.

Das Werk Arc-Song habe ich der Harfenistin Notburga Puskas gewidmet.

Toshio Hosokawa

Malika Kishino – Monochromer Garten VI

Monochromer Garten VI ist eine fortlaufende Kammermusikreihe.

In Monochromer Garten konzentriere ich mich auf kleine Besetzungen für 1-3 Musiker. Mit dieser Serie versuche ich, die Eigenschaften und die Ästhetik eines japanischen Gartens und den Prozess seiner Architektur darzustellen.

Eine silberne Welt, Nacht, schwarze, schneebedeckte Kacheln, reflektiertes Licht, Raum, Stille…  Ich wollte ein solches Bild des Gartens mit Ton darstellen, als ich durch das Fenster hinter dem Tempel in Kyoto schaute.
Die nächtliche Szene des Gartens war wie ein Tuschebild, ein Kunstwerk in Schwarz und Weiß. Ich fand darin eine Verkörperung der Schönheit, die mich zugleich zum Nachdenken über die Wertschätzung der Schönheit anregte.

Nach Shinichi Hisamatsu (1889-1980), einem japanischen Philosophen und Gelehrten des Zen-Buddhismus, lassen sich die allgemeinen Charakteristika der japanischen kulturellen Ausdrucksformen in der bildenden Kunst anhand von sieben miteinander verbundenen Merkmalen beschreiben:

1) Asymmetrie
2) Einfachheit
3) Äußere Erhabenheit
4) Natürlichkeit
5) Subtile Tiefe
6) Freiheit von Anhaftung
7) Kontemplation

Jede bildende Kunst, auch die Landschaftsarchitektur, besitzt alle diese sieben Eigenschaften, die in ihrer Untrennbarkeit ein vollkommenes Ganzes bilden.

In der Serie Monochromer Garten betrachte ich die Komposition von Musik als Komposition von Landschaftsarchitektur.
Anstelle von Materialien wie Steinen, Wasserspielen, Moos, beschnittenen Bäumen, Sträuchern, Sand und Raum, um einen japanischen Garten zu komponieren, benutze ich Klangmaterialien und Zeit, um mein Werk zu schaffen.

Besonders in meinem Stück Monochromer Garten VI habe ich versucht, die Besonderheiten der von Vincent Royer entwickelten Bratschentechnik hervorzuheben, wie z.B. den Reiz des reichen Holzes, die Mischung von Grundton und Spektrum als Klangmaterial und den Charakter der Improvisation.
Ich wollte mit diesen Materialien ein Universum der Schönheit schaffen und tiefe Reserven meiner Sensibilität erreichen.

Monochromer Garten IV wurde von meinem lieben Freund Vincent Royer in Auftrag gegeben und ist ihm gewidmet.

Malika Kishino

Hermione Johnson – Shaking in the Garden

Shaking In The Garden ist die Erinnerung an einen Traum.
Eine quadratische Rasenfläche auf einem abfallenden Hügel, umgeben von einem tropischen Wald mit hoch aufragenden Bäumen.
Man hat das Gefühl, gleichzeitig zu steigen und zu fallen. Alles strebt nach oben. Die Insekten singen laut. Die Luft ist feucht und dick, aber kühl.

Das Stück hat eine grafische Partitur, die Peter Veale und Axel Porath sehr schön zum Leben erweckt haben.

Vielen Dank an Creative NZ für die Finanzierung und an Dylan Lardelli und das Ensemble Musikfabrik für den Auftrag.

Hermine Johnson

Younghi Pagh-Paan – schweigend lauschen

Für Heinz Holliger
zum 80. Geburtstag

„Wir bedürfen der Stunden,
in denen wir schweigend lauschen
und das göttliche Wort in uns wirken lassen.“

Edith Stein – Öffne das herz für dein Licht

Toshio Hosokawa – Neben dem Fluss

„Dem Schweigen lauschen“

ist die Spielanweisung im Takt 1 von Toshio Hosokawas Neben dem Fluss. Entstanden im Jahr 1982 greift das erste Solowerk Hosokawas für die Harfe auf eine Szene aus Hesses Siddhartha zurück: Vasudeva sitzt mit Siddhartha am Flussufer. Sie lauschen, schauen ins Wasser, es erscheinen Siddhartha Bilder: sein Vater, sein Sohn. Er hört die klagende Stimme des Flusses „Sehentlich floss er (der Fluss) seinem Ziele zu“. „‘Hörst Du?‘ fragt Vasudeva. […] ‚Höre besser!‘ flüstert Vasudeva“. Diese beiden letzten Zitate des Fährmanns wiederholt Hosokawa wörtlich als Spielanweisung in zahlreichen Fermaten-Pausen in seinem Werk für Harfe.

„Er (Siddartha) war nun ganz Lauscher, ganz ins Zuhören vertieft, ganz leer.“

Eben diesen Weg scheint auch Hosokawa in seiner Musik zu suchen; im Gespräch mit Wolfgang Sparrer äußert er sich folgendermaßen:

Weißt Du, warum wir diese Künste machen? Wir suchen uns selbst, es geht darum, uns von diesem Ichgefühl oder Egoismus zu befreien. […] Wir sagen dō – Weg; […] Wenn ich komponiere, möchte ich irgendwie dieses dō machen – das ist etwas anderes als europäische Künstler wollen.

Für Hosokawa ist ein Ton ebenso Ende einer bereits existierenden Stille wie auch Einleitung und Markierung bzw. Beginn einer folgenden Stille:

Der Klang entsteht aus dem Schweigen und kehrt wieder zum Schweigen zurück.

Langsam baut Hosokawa in Neben dem Fluss sein Tonmaterial für das Werk auf. Die kleinen Formteile bestehen anfangs aus langsamen Wiederholungen eines Tones mit verschiedenen Spieltechniken. Allmählich kommen Töne hinzu und der Ambitus erweitert sich mit jedem kleinen Formteil. Insgesamt ist das Tonmaterial des Werkes sehr einheitlich: Es besteht aus mehreren Tritonus-Schichten und, alle Oktavlagen mitgerechnet, aus 14 Haupttönen, wobei die Töne fis1, c, a1, es die Hauptzentren der kleineren Formabschnitte in der ersten Hälfte bilden. Hosokawa erläutert bei Wolfgang Sparrer, dass er als Japaner nicht wie Europäer funktional hört, sondern dieses erst durch das Hören europäischer Musik „lernt“. Der Tritonus hingegen spielt für ihn eine besondere Rolle. Er wählt sein Tonmaterial so aus, dass in jeder Zelle seiner Musik Yin und Yang enthalten sind: „[d]er Tritonus zum Beispiel, c ist Yin und fis ist Yang“. Zur Mitte hin verdichtet sich das Stück und nach der Hälfte verändert Hosokawa die Kompositionsweise vollständig: Wo vorher noch Raum entstand durch lange Fermaten und Klingenlassen einzelner Töne, füllen jetzt lange Tremoli in Terzintervallen die Zeit aus, bilden ein Crescendo, das in jedem dieser kleinen Teile stärker ausgeprägt sein soll und werden – wie auch schon die kleinen Formteile in der ersten Hälfte – durch Fermaten-Pausen getrennt. Pedalbewegungen während des Tremolos verändern die Töne und schaffen so eine innere Unruhe. Die letzten Takte des Werkes greifen wieder den Anfangston fis1 auf und enden „fragend“ und offen. Im letzten Takt, eine lange Fermaten-Pause, steht die Spielanweisung: „lauschen – auf was?“. Bei Hesse findet Siddhartha eine Antwort auf das, was er vom Fluss gehört hat: In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kämpfen, hörte auf zu leiden.

Wie lassen sich japanische Tradition und westliche Moderne verbinden? Wie kann ein Komponist, der sich immer mehr seiner japanischen Wurzeln bewusst wird, Kompositionen für europäische Ohren schreiben? Wie kann ein Zupfinstrument, dessen Klang schnell verschwindet, lange Klangflächen erzeugen? All diese Fragen lassen sich mit Toshio Hosokawas Musik für Harfe beantworten.

„In meinen Kompositionen verwende ich zum Beispiel europäische Instrumente, möchte aber Klänge erzeugen, die den japanischen Instrumenten ähnlich sind. […] Aber es geht nicht um ein japanisches Instrument oder um japanische Klänge, sondern es geht nur um meine eigenen Klänge.“

Mirjam Schröder

Malika Kishino – Nox (Orange and Blue)

Nox ist eine fortlaufende Nocturne-Serie, die mit Fokus auf die Klangfarbe jedes Instruments und den Kontrast zwischen ihnen komponiert wurde.

Auf Latein bedeutet „Nox“ Nacht. Diese Serie versucht, die Stille der Nacht auszudrücken und betont dabei die Farben, die sich durch musikalische Eindrücke in die nächtliche Szenerie mischen.

Das orangefarbene Leuchten der Stadtlichter und der dunkelblaue Himmel nach dem Sonnenuntergang – diese Kombination ist für mich der europäischste und schön nostalgische Anblick. Die sich ständig ändernden Farbtöne des Nachthimmels während der Dämmerung, zusammen mit dem warmen Orange der Natriumlampen, erschaffen eine harmonische, aber kontrastreiche Szene.

In Nox (Orange and Blue) für Oboe und Harfe kommen zwei Instrumente mit völlig unterschiedlichen Klangfarben und Qualitäten zusammen, um ein einzelnes großes Metainstrument zu bilden. Durch musikalische Gesten wie Bisbigliando, Akkorde/Multiphonics, Glissando und andere erzeugen sie eine reiche Palette von Farben, die sich verweben und allmählich in tiefe Stille versinken.

Nox (Orange and Blue) ist meinen geschätzten Interpreten und Freunden, Herrn Peter Veale und Frau Mirjam Schröder, gewidmet.

Malika Kishino

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Oxana OmelchukBallare (2014)
für vier Schlagzeuge und Video
Visualisierung: Jens Standke

Schlagquartett Köln
Dirk Rothbrust
Thomas Meixner
Boris Müller
Achim Seyler

Janet Sinica, Video und Bearbeitung
Martin Schmitz, Licht
Stephan Schmidt, Aufnahmeleiter

Liveaufnahme vom Montagskonzert am 11. Dezember 23

Oxana Omelchuk – Ballare (2014)

In Ballare erweitert Omelchuk ihr Kompositionsmaterial um die Bildebene. In diesem Fall um ein Video mit dem hochemotionalen WM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Schweden aus dem Jahr 2012, das in die Geschichte einging. Zur Erinnerung: Deutschland führte nach einer Stunde 4:0 und kassierte dann innerhalb von dreißig Minuten vier Gegentore.

Augenzwinkernd, aber nach einer strengen seriellen Methode hat sie – zusammen mit dem Visualisierungskünstler Jens Standke – in mühevoller Kleinarbeit mithilfe eines speziellen digitalen Verfahrens bestimmte Bewegungsmuster herausgefiltert, um sie in Musik umzusetzen.

Einzel- und Mannschaftsaktionen wurden so zu Solo- und Ensemblestücken. Jeder Ballberührung, jedem Ballkontakt, jeder Gestikulation der beteiligten Spieler wurde ein Klang zugeordnet und so ein rhythmisches Muster ermittelt, das in eine bestimmte Metrik eingebunden wurde.

Die so gewonnene hochkomplexe rhythmische Struktur und die dazugehörige Videosequenz werden mehrmals wiederholt, dabei aber immer wieder neu beleuchtet – sowohl klanglich durch die vier Schlagzeuger und ihren riesigen Instrumentenpark als auch visuell.

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Liza LimThe Green Lion Eats The Sun (2014)
für Doppeltrichter-Euphonium

Melvyn Poore, Doppeltrichter-Euphonium

Janet Sinica, Video
Jan Böyng, Schnitt
Wolfgang Ellers, Aufnahmeleiter / Bearbeitung

»Ich war stets angezogen von der Idee, das Gedächtnis zu befragen oder die Geister der Vorfahren anzurufen«, sagt die 1966 in Perth geborene Komponistin Liza Lim.
Das Reservoir, aus dem sie im Rahmen dieser »Erinnerungsarbeit« schöpft, sind einerseits chinesische oder koreanische Musiktraditionen, aber auch die religiöse Mystik des Sufigesangs oder die Kultur der Aborigines.
Dieser Blick auf das Überlieferte ist allerdings kein historischer oder ethnologischer; vielmehr versucht Liza Lim in ihrer Musik eine Vergegenwärtigung von kollektiven, transkulturellen Wissensbeständen und mythischen Erfahrungen zu erreichen.

Für die Komposition The Green Lion Eats the Sun, die 2014 für Melvyn Poore, den Tubisten des Ensemble Musikfabrik entstand, nahm Lim Rekurs auf eine weitere geistesgeschichtliche Tradition:
auf die Alchemie des Mittelalters, genauer gesagt auf einen Holzschnitt – ein grüner Löwe, der eine leuchtende Sonne verschlingt – aus der alchemistischen Abhandlung »Rosarium Philosophorum«, entstanden Mitte des 13. Jahrhunderts und 1550 erstmals im Druck erschienen. Der Traktat beschreibt einen zehnstufigen Weg zur Herstellung des Steins der Weisen, wobei nicht nur äußere Verfahren behandelt, sondern auch Strategien einer »inneren Wandlung« aufgezeigt werden.
Diese psychologischen Aspekte der Alchemie griff im 20. Jahrhundert Carl Gustav Jung wieder auf, indem er die mittelalterliche Geheimwissenschaft als unbewusste Beschreibung »psychischer Strukturen in der Terminologie stofflicher Verwandlungen« bezeichnete.

In The The Green Lion Eats the Sun wird eben diese Janusköpfigkeit von den beiden Schalltrichtern des Euphoniums repräsentiert.
»Das Öffnen und Schließen der Trichter«, erläutert Liza Lim, »ermöglicht den Zugang zur einen oder anderen Seite, wobei der gedämpfte Trichter dazu dient, den überbordenden Klangreichtum zu filtern, der aus dem offenen Trichter ertönt.
Der geöffnete Trichter ist hierbei das Sprachrohr des Unbewussten, während die gedämpften Bewusstmachungen dessen Vielfalt kaum habhaft werden«. Das »Schalten« zwischen den Bewusstseinszuständen spielte auch in der Genese des Stücks eine entscheidende Rolle.

Ein Großteil von The Green Lion Eats the Sun entstand am Flughafen in Boston, wo Liza Lim eine siebenstündige Verspätung abwarten musste.
Aus der misslichen Lage ergab sich eine ideale kreative Situation:
»Umgeben von dieser Schicht aus Lärm und frustrierten Passagieren, kam ich in einen fokussierten Geistes- und Daseinszustand. Nichts konnte mich stören. Nichts konnte mich berühren.
Das ist die Ekstase des Kunstschaffens. Die Musik macht dich und du machst die Musik.«

 

Text aus dem Programmheft der Uraufführung vom 19.04.2015 bei Musikfabrik im WDR 53, geschrieben von Michael Rebhahn.

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Robert HP PlatzChapelle (2020) deutsche Erstaufführung
für Klarinette solo

Liza LimThe Heart’s Ear (1997)
für Flöte, Klarinette und Streichquartett

Liza LimMicrobiome (2020)
für Bassklarinette solo

Harrison BirtwistleAubades and Nocturnes (2003) aus The Io Passion
für Bassetklarinette und Streichquartett

Carl Rosman, Klarinetten, Kurator
Helen Bledsoe, Flöte
Hannah Weirich, Violine
Sara Cubarsi, Violine
Barbara Maurer, Viola
Dirk Wietheger, Violoncello

Programmtexte

Robert HP Platz – Chapelle

Seit über 30 Jahren arbeite ich immer mit dem gleichen Material, verschiedenen „Gesten“.

Chapelle gehört zu dem Zyklus Taormina Block, zu dem insgesamt 6 Stücke gehören, die alle autark, also auch einzeln spielbar sind. Im Gegensatz zu meinen Kompositionen zuvor konzentriert sich jedes dieser Stücke auf nur eine einzige „Geste“, anstatt ihr Leben aus einer Vielzahl verschiedener Gesten abzuleiten.

Bei Chapelle ist dies eine eher lieblich gehaltene Grundstimmung: dolce. Das Ineinandergreifen dieser Gesten bei sechs gänzlich verschiedenen, gleichzeitig gespielten Stücken läßt mich an einen scheinbar ungesteuerten inneren Monolog denken, ein permanentes Abschweifen und Wiederzurückfinden der Gedanken: ein verführerischer Gedankendschungel, sinnlich und doch eindeutig auf ein abschließendes Kadenzieren hin entworfen. Vielleicht läßt sich der formale Ablauf in meiner Musik so am Besten beschreiben: als Abbildung des Gedankenflusses, mit allen Abschweifungen, Rückbesinnungen, Gleichzeitigkeiten: eine Traummechanik.

In meinem Taormina Block: Container weitet sich dieser Dschungel in den Raum hinein, wird dreidimensional. Die sechs Einzelstücke umschließen das Publikum, Assoziationen bekommen eine räumliche Zuordnung, fast wird der Konzertsaal zur Projektion des Schädels, unter dessen Decke eine Flut von Assoziationen von einem Gehirnareal zum andern schießt, und wir mitten drin…

…und Chapelle mitten drin: was wäre das Leben ohne seine Süße?

Liza Lim – The Heart’s Ear

The Heart’s Ear ist eine Meditation über ein Fragment einer Sufi-Melodie. Eine Melodie, wie Vogelgesang, der im Inneren des Eies beginnt (Rumi) und sich seinen Weg nach draußen in eine Folge von musikalischen Räumen bahnt. Stille (inneres Hören) und Gesang (Sehnsucht) verflechten sich und fließen durch die Musikinstrumente.

Dieses Werk ist dem Australia Ensemble gewidmet.

Liza Lim – Microbiome

Geschrieben für Carl Rosman, in Freundschaft

„Der Parasit hört nicht auf. Er hört nicht auf zu essen oder zu trinken oder zu schreien oder zu rülpsen oder Tausende von Geräuschen zu machen oder den Raum mit seinem Gewimmel und Lärm zu füllen…“
Michel Serres, Der Parasit (S.253)

Wir Menschen beherbergen eine Vielzahl von Mikroben in und auf unserem Körper – Bakterien, Viren, Pilze und andere Parasiten – und sind von ihnen abhängig. Dem Darmmikrobiom wird eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Immunität zugeschrieben, und es fungiert als eine Art „zweites Gehirn“, das alles von Emotionen bis zum Schlafzyklus beeinflusst. Sowohl nützliche als auch schädliche Mikroben koexistieren in einem dynamischen Fluss, und wir sehen, dass das, was wir als unabhängiges „Ich“ betrachten, ein Holobiont (eine ökologische Ansammlung) ist und dass das „Ich“ eine multispeziesale, vielstimmige Vielfalt ist.

Harrison Birtwistle – Aubades and Nocturnes

In Harrison Birtwistles Oper The Io Passion (2004) besteht das „Orchester“ aus einem Streichquartett und einer Bassettklarinette (bei den ersten Aufführungen war es das Quatuor Diotima und Alan Hacker).

Birtwistles erster Schritt beim Komponieren der Musik bestand darin, eine Reihe von Miniatur-Klarinettenquintetten zu schreiben, die schließlich das Rückgrat der musikalischen Struktur bilden sollten.

Diese Quintette bilden das vorliegende Werk mit dem Titel Aubades and Nocturnes: dreizehn Sätze, einige davon winzig klein, von denen nicht alle schließlich in der Oper erschienen. (Birtwistle hat später eine bescheidenere Auswahl unter dem Titel Nocturnes and Aubades getroffen, die auch einige Zwischenspiele aus der Oper enthält, die in der ursprünglichen Zusammenstellung nicht enthalten waren).

Birtwistles dramatische Werke weisen nur selten einen linearen Handlungsstrang auf, und The Io Passion bildet da keine Ausnahme: Ein einziges Ereignis wird auf der Bühne wiederholt und mit zunehmender Komplexität der Details dargestellt. Die Aubades und Nocturnes folgen einer ähnlichen Strategie, indem sie immer wieder dasselbe musikalische Terrain durchlaufen und sich von ihrem epigrammatischen Anfang allmählich ausweiten.

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Studio MusikfabrikConcert Impressions
Vom Konzert Death & Desire
14. Okt 2023, Alte Feuerwache, Köln

Sean Quinndeath & desire (2021 – 23) Uraufführung
Dieter MackKammermusik II (1991)
Malika KishinoSchmetterlingstanz (shortened version, 2023)
Kee Yong ChongSplattered landscape IIb – cloud’s echoing (2007)

Studio Musikfabrik – Jugendensemble des Landesmusikrats NRW
Peter Veale, Dirigent

Janet Sinica, Video / Schnitt

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Petros Ovsepyan – Airs Between (2023) Uraufführung
für Flöte, Horn, Violine und Tonband

 

Helen Bledsoe, Kuratorin, Flöte
Christine Chapman, Horn
Sara Cubarsi, Violine

Programmtext

PETROS OVESPYAN AIRS BETWEEN (2023)

Inspiriert von den Airs der Renaissance und des Barocks ist Airs between eine Reise durch Zeit und Raum. Das viersätzige Stück für Flöte, Horn, Violine und Tonband bezieht das Wort Luft auch in einem breiteren Kontext ein – Luft ist das, was wir ein- und ausatmen, im Grunde das, was uns am Leben erhält. Ein wesentlicher Teil des Klangmaterials, insbesondere in Air I und II, sind die Luftgeräusche, die die Instrumentalisten entweder mit ihrer Stimme oder auf ihren Instrumenten erzeugen. Die Stimme der Instrumentalisten wird auch in verschiedenen Manipulationen eingesetzt, z. B. als Gesang, Flüstern, gutturale Geräusche und manchmal in Kombination mit dem Instrumentalspiel. Air III ist ein Übergangssatz, der mit einem Violinsolo endet, das das Klangmaterial in die Maisfelder von Linum in Brandenburg führt, Air IV, wo 80.000 Kraniche auf ihrem Zug in den Süden eine Pause einlegen. Der Hauch barocker Instrumentalklänge begleiten die Vögel auf ihrem Weg.

 

Biographie

Petros Ovsepyan, armenischer Herkunft, wurde 1966 in Baku/Aserbaidschan geboren und 1979 in die USA eingewandert. Seine Ausbildung (Bachelor’s, Masters und Doctor) machte Petros Ovsepyan in der Manhattan School of Music (New York) und in der Indiana University (Bloomington). 1995 war er mit dem Fulbright Stipendium im Sweelinck Conservatory (Postgraduate Studium) in Amsterdam bei Theo Loevendie.
Lehrer waren u.a. Claude Baker, Brian Ferneyhough, Klaus Huber, Harvey Sollberger und Giampaolo Bracali. Sein Werk umfasst Stücke der Genre: Solo, Kammermusik, Orchester, Chor, Musiktheater, Oper, Elektronik und Multimedia. Eine Spezialisierung ist, den Körper des Performers als Erweiterung des Klanges miteinzubeziehen. Als Beispiele sind Opera and Aria für vier Saxofonen (Gaudeamus Muziektheater Festival, Amsterdam), eineInstrumentaler Oper die innerhalb 45 minuten von Kõrper zum Instrumentalesklang verwandelt, oder II für Klavier Solo (MATA Festival, New York), wo jeder Körperbewegung ein Teil des Klangmaterials des Stückes wird. Das Verhältnis zwischen Klang und Bewegung in diesen Stücken schafft eine Atmosphäre von einer neuen Realität und Wahrnehmung.
Er war featured composer und vertreten bei internationalen Festivals, u.a. Musica Nova (Sofia), Kalv Festival (Kalv-Schweden), MaerzMusik, Singapur Arts Festival, Schreyahner Herbst, Ultraschall, Culturscapes (Basel), Festival Punto Aparte (Spanien), Colón Electronico (Bogota), Gaudeamus Muziektheater Festival (Amsterdam), ISCM Weltmusik Tage (Slovenien), Festival Encuentros (Buenos Aires), Autunnale (Norwegien), Fondation Royaumont (Frankreich), MATA (New York), Gaudeamus Muziekweek und Time of Music (Finnland).
Seine Werke wurden u.a. aufgefuhrt von: Nieuw Ensemble, Klangforum Wien, Ensemble Mosaik, Nouvelle Ensemble Moderne, Ensemble Adapter, Sonar Quartett, l’Itenereire, l’Instant Donné, Doelen, Kairos Quartett und Insomnio.