25. April 2019

SAI BALLARE?

We are glad to be a part of this new portrait CD by the Ernst von Siemens Musikstiftung freshly published at Kairos: Lisa Streich – Augenlider.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Through the new music resource platform Score Follower you can listen to the whole piece SAI BALLARE? for violin (Hannah Weirich), piano (Ulrich Löffler) and motorised violoncello (Axel Porath) accompanied by the music score.

Some words about SAI BALLARE? by the journalist and author Egbert Hiller (the text in German only is taken with friendly permission from our programme booklet of Musikfabrik im WDR 67):

Lisa Streich folgt kompromisslos ihren schöpferischen Impulsen, die auch und gerade von spirituellen Dimensionen getragen werden. Auf der Suche nach Antworten auf brennende existenzielle Fragen bricht die 1985 geborene Schwedin immer wieder zu neuen Ufern auf. Sich auf Pier Paolo Pasolini einzulassen, war für sie eine besondere Herausforderung, zumal sie in Sai ballare? auf den radikalsten (und letzten) Film des italienischen Regisseurs Bezug nahm: „Salò o le 120 giornate di Sodoma“ („Die 120 Tage von Sodom“) von 1975, für den Ennio Morricone und Pasolini selbst den Soundtrack komponierten. Der Film beruht auf einer Vorlage des Marquis de Sade und ist zudem vom Inferno aus Dantes Divina Commedia (Göttliche Komödie) inspiriert. Verortet hat Pasolini sein „Sodom“ in der fiktiven Republik Salò, einem faschistischen Marionettenstaat in – von Nazi-Deutschland besetzten – Norditalien, in dem die Herrschenden an entführten Frauen und Männern ihre Triebe und Machtgelüste ausleben. Erniedrigung und wachsende Brutalität münden schließlich in Folter und Mord.

Lisa Streich fokussierte in Sai ballare? die Schlussszene des Films, in der vor dem Hintergrund des grausamen Geschehens zwei junge Wärter tanzen und Belanglosigkeiten austauschen. Der Titel ihres Stücks – auf Deutsch: „Weißt du, wie man tanzt?“ – geht darauf unmittelbar ein. Diese Worte mögen fast zynisch klingen, stellen aber eher die Frage nach Schuld oder Unschuld von Kunst und Musik, die, wie die Kulturgeschichte aufzeigt, für verschiedenste, auch verbrecherische Zwecke instrumentalisiert werden können und wurden.

Dem begegnet Lisa Streich mit dem spröden Charme ihres Klaviertrios, das den Tanz der imaginären Wärter ins Schattenhafte entrückt. Nur zwei der drei Instrumente werden von Menschenhand gespielt. Das „mechanische“ Cello produziert hingegen subtile Klänge, die von rotierenden, durch winzige Motoren angetriebene Papierschnipsel und Plastikfolien auf dem Korpus des Instruments erzeugt werden. Die Perversion menschlichen Handelns in Pasolinis Film konfrontiert Streich mit der Traumsphäre ihrer mikrotonal aufgefächerten und überwiegend zarten, nur punktuell sich sachte aufbäumenden Musik, mit der sie, wie sie es formuliert, „die Schluchten zwischen Hässlichkeit und Schönheit mit Liebe füllen“ möchte. Mithin reflektiert Sai ballare? utopische Vorstellungen. Lisa Streich will mit ihren Klängen „berühren“; intuitiv spürt sie Visionen von einer besseren Welt nach, ohne die Wirklichkeit auszublenden. „Weißt du, wie man tanzt?“ heißt in diesem Zusammenhang auch: Weißt du, wie man lebt, wie du leben willst, was du tun kannst, um dich selbst und andere zu „beseelen“ oder immerhin – nicht zuletzt in und durch Musik – ein wenig glücklicher zu machen?