Zum nächsten Montagskonzert im Studio des Ensemble Musikfabrik am 15. Januar 2018 werden Marco Blaauw, Florentin Ginot, Ulrich Löffler und Benjamin Kobler György Kurtágs Werk „RÜCKBLICK, Hommage à Stockhausen„ (1993) – für Trompete, Kontrabass und 2 Pianisten präsentieren. Benjamin Kobler hat das Werk für den Abend ausgewählt und uns drei Fragen dazu beantwortet:
Lieber Benni, das Stück „RÜCKBLICK, Hommage à Stockhausen“ von György Kurtág aufzuführen war ein großer Wunsch von dir. Warum ausgerechnet dieses Stück? Was ist das Besondere daran?
György Kurtág ist einer meiner absoluten Lieblingskomponisten! An seiner Musik schätze ich besonders die emotionale Tiefe und Weite des Ausdrucks, die sich in seinen zumeist sehr kurzen und beinahe aphoristischen Stücken immer ab der allerersten Note einstellt. Es ist sozusagen eine Art Hyperexpressivität, die jeder einzelnen Intervallspannung intensivst nachspürt. Mindestens eben genauso wichtig ist seine lebendige und ständige Auseinandersetzung mit der gesamten musikalischen Tradition. Er hat ja bekanntlich jahrzehntelang an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest Kammermusik unterrichtet, und seine Stunden waren für mich immer so etwas wie eine Art musikalische Offenbarung. Und mit seiner Frau Marta spielt er jeden Tag gemeinsam vierhändig Klavier; seine eigenen Werke sowie Klassiker. Seine Auseinandersetzung mit dieser Tradition ist also ganz persönlich, aktiv, regelmäßig und ständig, und daher ist dieses Bewußtsein in seiner Musik auch jederzeit sofort spürbar.
Das Besondere an Rückblick ist der sehr große Rahmen an Ausdrucksmöglichkeiten und Klangfarben, bei einer relativ kleinen Besetzung. Man bekommt so als Musiker die Gelegenheit sich auszudrücken, als würde man nahezu ein gesamtes Orchester quasi alleine spielen. Das ist natürlich einerseits eine sehr große Herausforderung, andererseits aber auch eine wunderbare Gelegenheit sich so vielfältig zu zeigen und zu verwandeln.
Verbindest du eine besondere Erfahrung damit?
Kurtág hat in diesem Werk mehrere neue Werke komponiert, die speziell für die Quartettbesetzung (Trompete, Kontrabass und 2 Pianisten) geschrieben sind. Auf der anderen Seite hat er aber auch mehrere bereits früher komponierte Werke, beispielsweise aus dem Jatekok für Klavier solo, oder aus dem Liederzyklus „Die Sprüche des Peter Bornemisza“ in diesem Stück in einen neuen Zusammenhang gestellt. Das Schöne daran ist, dass ich einige Stücke, die ich schon vor langer Zeit gelernt und aufgeführt habe, hier wieder neu spielen und entdecken kann, und mein Zugang dazu schon viel ausgereifter ist, als wenn ich alle einzelnen Stücke von Beginn an neu lernen sollte. Das ist bei der speziellen Charakteristik von Kurtags Musik sehr hilfreich. Als Musiker stehen wir bei ihm oft vor der Situation, dass wir ein kurzes Stück mit relativ wenigen Noten und nicht immer einem übertrieben hohen instrumentalen Schwierigkeitsgrad finden. Da denkt man zunächst einmal, das kann ja so schwierig nicht sein. Wenn man dann aber beginnt zu üben und mit den Kollegen zu proben, bemerkt man, welche spezielle Bedeutung und besonderes Gewicht jeder einzelne Ton, jedes Intervall, jede Phrase hat. Wenn wir nicht dazu kommen, uns da hinein zu vertiefen mit unserem gesamten musikalischen und menschlichen Wesen, bleibt die Musik seltsam stumpf und geradezu abweisend. Da kann man sich leicht als absoluter Anfänger fühlen, dem nicht einmal mehr die vermeintlich „einfachsten“ Dinge gelingen. Wenn wir dann aber die Kraft, Energie, viel Zeit und innere Bereitschaft finden uns auf das Abenteuer Kurtág einzulassen, kann es nach lange andauernden Wegen des Suchens und immer wieder Versuchens eine absolut einzigartige und sublime Erfahrung werden.
Wieso wird dieses Stück so selten aufgeführt?
Rückblick ist wegen der Vielzahl der Tasteninstrumente, die in diesem Stück gespielt werden, für ein klein besetztes Kammermusik verhältnismäßig aufwändig zu organisieren. Es werden neben den 2 Konzertflügeln für die Pianisten noch folgende weitere Instrumente benötigt: 2 Up-Right Klaviere, die eine spezielle Filzdämpfung haben müssen, um damit einen besonders leisen, weichen und verhuschten Klang zu erzeugen, 1 (besser sogar 2) Celestas, und ein Cembalo. Durch diese Vielzahl an Instrumenten ist ein unglaublich hoher und wunderschöner Reichtum an Klangfarben gegeben, was das Stück sowohl für den Hörer als auch für den Interpreten besonders reizvoll und abwechslungsreich macht. Aber man kann auch leicht erkennen, dass es eben nur wenige Konzertsäle und Veranstalter gibt, die diese Menge an Instrumenten ohne Schwierigkeiten zur Verfügung stellen kann. Das ist eigentlich nur in den Konzertsälen von Großstädten mit bedeutendem musikalischen Leben und in den Sendesälen der großen Rundfunkanstalten möglich.