4. März 2022

Korpus

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Simon Steen-AndersenKorpus (2015)
für 9 Spieler auf drei Harry-Partch-Instrumenten
Kompositionsauftrag der Salzburg Biennale

Dirk Rothbrust, Marimba Eroica
Benjamin Kobler, Chromelodeon
Carl Rosman, Bloboy
Bruce Collings
Melvyn Poore
Ulrich Löffler
Hannah Weirich
Axel Porath
Thomas Meixner

Janet Sinica, Video/Schnitt
Jan Böyng, Schnitt
Julius Gass, Tonaufnahme/Mischung

Nun stehen sie also alle da, die Instrumente des Harry Partch – doch was damit anfangen? Es ist wie Weihnachten: jemand hat die Tür aufgesperrt zum großen Spielzeugladen, natürlich stürmen erst mal alle rein, doch dann passiert eben dies: Die einen laufen mit glänzenden Augen von Regal zu Regal und können es kaum glauben, wollen am liebsten alles gleich mit nach Hause nehmen, ein anderer schaut skeptisch drein und betrachtet die Auswahl lieber aus sicherer Distanz (nennen wir ihn Klaus?), noch ein anderer (Simon?) läuft zielstrebig in eine Ecke, zieht ein paar Sachen aus den hohen Stapeln heraus, ignoriert den Rest, setzt sich auf den Boden und beginnt, die Fundstücke neugierig zu untersuchen. Ob er weiß, dass diese merkwürdigen Geräte „Marimba Eroica“ heißen, „Blow boy“ und „Chromelodeon“? Er liest nicht die Gebrauchsanweisung, auch nicht die beigelegten Spielregeln und macht sich lieber selbst einen Reim auf das, was er gefunden hat. Dreiundvierzigstufige Oktaveinteilung? Ober- und Untertonreihen? Langweilig. Mal ganz vorsichtig auf eine Taste drücken und gucken, was passiert. Spannend! Den Blasbalg nur halb füllen, die Pfeifen zukleben, die großen Holzplatten mit Styropor, Alufolie und Backpapier bearbeiten? Auch keine schlechte Idee.

Simon Steen-Andersens Interesse an Theorie ist begrenzt. Ihn interessiert die konkrete Situation: wie sieht es aus, wie fühlt es sich an, wie bewegt es sich, wie klingt es – und vor allem: wie verhält sich all das zueinander, was unsere Sinne an Input liefern? Und weil er einerseits selbst interessiert ist an den Antworten auf solche Fragen, andererseits auch uns, sein Publikum, dafür interessieren möchte, legt er viel Wert auf Transparenz, auf Offen-Sichtlichkeit. So lässt Steen-Andersen sein achtköpfiges Expeditionsteam nicht gleichzeitig verschiedene Baustellen ausheben, sondern eine nach der anderen. „Korpus“ ist in weiten Teilen analog zur mittelalterlichen Hoketus-Technik organisiert: eine lange musikalische Linie springt von Stimme zu Stimme. Was passiert, passiert nacheinander, nichts verdeckt etwas anderes. Wenn gegen Ende sich dann doch Ereignisse leicht überlappen, hat das für einen Moment fast die Dramatik einer Schlussfuge. Doch dann weist Steen-Andersen seine Mannschaft schnell wieder auf ihre Plätze. Das Spiel mit Harry Partch endet in seliger Ruhe. Weihnachten war kurz, aber schön.

Raoul Mörchen

Korpus wurde im Rahmen des Projekts Pitch 43_Tuning the Cosmos in Auftrag gegeben, in dem Komponist*innen in Europa die Möglichkeit gegeben wird, das Partch-Instrumentarium zu studieren und dafür neue Werke zu schreiben.