24. Januar 2023

Widerstand und Funkenflug

Am 29. Januar spielen wir die Uraufführung von Milica Djordjevićs Werk Nalet im Rahmen unserer Reihe „Musikfabrik im WDR“, beim Festival ACHT BRÜCKEN dürfen wir Solokompositionen der serbischen Komponistin uraufführen. Raoul Mörchen hat im Vorfeld mit der Komponistin gesprochen und verrät, wie bei ihr ein neues Stück entsteht. 

Das neue Ensemblewerk ist noch längst nicht beendet, und Milica Djordjević hat eines gelernt: dann besser auch nicht drüber sprechen. „Es mir schon passiert, dass ich Dinge angekündigt habe, die ich dann später doch komplett verworfen habe. Komponieren ist bei mir ein Prozess mit leicht chaotischen Zügen.“ Weder der konkrete Verlauf noch das Ende dieses Prozesses folgen einem festen Schema –auch die Anfänge ähneln sich nie, müssen mit wechselnden Strategien erkämpft werden. Ihr fallen die Dinge nicht in den Schoß, sagt Djordjević, immer wieder müsse sie neu von vorn ansetzen, um aus einer dunklen Vorstellung, einer Art großem „Murmeln“, Ideen, Klänge und Materialien herauszukristallisieren, mit denen sie dann arbeiten könne.

Dabei mangelt es nicht an Inspiration. Seit der Schulzeit schlägt das Herz der gebürtigen Serbin gleichermaßen für die Naturwissenschaften und die bildende Kunst, dazu kommen Anregungen aus der Literatur und dem politischen Zeitgeschehen. Und manchmal überlagern sich die Felder auch, wie beim Schlagzeugkonzert Jadarit, das Milica Djordjević kürzlich für Musikfabrik-Schlagzeuger Dirk Rothbrust geschrieben hat: Jadarit ist ein extrem seltenes, erst vor wenigen Jahren entdecktes Mineral, das ziemlich genau dem legendären Kryptonit aus dem Superman-Kosmos entspricht. Benannt ist es nach seinem einzigen Fundort, dem Jadar-Tal in Serbien, und es enthält neben Bor auch das für die Batterie-Herstellung essentielle Element Lithium. Der Abbau ist in Serbien ein hart umkämpftes Politikum. Ökonomie steht gegen Ökologie, die Aussicht auf extremen Profit gegen eine kaum vermeidbare Naturzerstörung größten Ausmaßes. All das ist schließlich eingeflossen in die Arbeit: die wissenschaftliche Faszination am neuen Element, die skurrile Koinzidenz des Faktischen mit dem Fiktiven und die Sorge um einen ökologischen Kahlschlag, der beinahe ein Drittel des gesamten Landes verwüsten könnte. 

Soviel will Milica Djordjević dann übrigens doch verraten: das neue Solostück für Dirk Rothbrust – eines von dreien, das bei ihr für Mitglieder des Ensembles Musikfabrik in Auftrag gegeben worden ist für das Kölner Festival „Acht Brücken“ in 2023 – wird an diesen Komplex anknüpfen. Und zwar nicht nur thematisch, sondern auch musikalisch: „Ich möchte Material aus dem Konzert quasi wie Stammzellen in das Solo implantieren.“ Und so ist es auch bei vielen anderen, eigentlich bei all ihren Partituren: „aus jeder Partitur fliegen Funken in die nächste.“

Milica Djordjevic © Astrid Ackermann

Was auch immer Milica Djordjević inspiriert – die Idee führt nie direkt zur Partitur, sondern sucht den Umweg über die Zeichnung. „Für mich persönlich ist das das natürlichste und intuitivste Mittel, die Klänge und Formen, die ich mir vorstelle, zu zeichnen. So gewinne ich Klarheit darüber, was ich tun werde.“ Ist einmal die Form in groben Zügen entworfen, hebt sie ihre Baustellen an ganz unterschiedlichen Orten aus. „Ich muss nicht mit dem Anfang anfangen und gehe sowieso nicht strikt chronologisch vor, nicht Takt für Takt. Manchmal arbeite ich erst einmal die Mitte genauer aus und spring dann weiter vor oder zurück.“ 

Und das Ende? Ist nicht unbedingt das Ende. So gerne Milica Djordjević ihre Arbeit im Austausch mit ihren Interpreten entwickelt, vor allem bei Solostücken, so so bereitwillig passt sie bei Proben oder auch nach Aufführungen noch einmal Details an, reagiert auf eigene Beobachtungen und Hinweise anderer. „Im engen Kontakt mit den Musikern können magische Dinge passieren.“ 

Raoul Mörchen