Sven-Ingo Koch – Von der Liebe zur Linie IV (2022)
für Violine
Sara Cubarsi, Violine
Janet Sinica, video/editing
Julius Gass, recording producer/editing
Zu Beginn stand die Idee, ein kurzes, einsätziges Stück für Barockvioline zu komponieren, inspiriert von barocker Ornamentierung und einer mikrotonal variablen Intonation von Intervallen und Tönen. Mich fasziniert jene Intonation barocker Musik, bei der Intervalle je nach tonal-harmonischen Kontext gedeutet und entsprechend mal enger, mal weiter gegriffen werden. So spielte mir am Anfang des Arbeitsprozesses die Barockgeigerin Nadja Zwiener allein vier verschiedene große Terzen vor. Das traf auf mein Interesse an einer Linearität, die mit Liebe zu variablen Kleinstintervallen melodische Potentiale von Mikrotonalität auslotet.
Während des freudvollen und anregenden Arbeitsprozesses am ersten Stück und des damit verbundenen erneuten Studiums von Bachs Sonaten und Partiten entstanden bald zahlreiche Ideen für weitere Sätze, so dass ich Abstand nahm von der Vorstellung, ein kurzes, einsätziges Stück zu komponieren. Wie Bach in seinen Partiten wollte ich (in Satz II und IV) Bezug nehmen zu verschiedenen Tänzen, wobei mir allerdings die Referenz zu zeitgenössischen – nicht barocken – populären Tanzformen wichtig war.
Jeder Satz basiert auf seiner eigenen Idee: Im ersten Satz bin ich (wie eingangs beschrieben) inspiriert von barocker Ornamentierung und stelle insbesondere 1/8-, 2/8-, 3/8- und 5/8-Tonschritte in den Fokus.
Der zweite Satz zelebriert einen repetitiven, tanzartigen Rhythmus mit einigem „Headbanging“-Potential – und einigen Störungen.
Der dritte Satz ist inspiriert von den Wechselnoten c‘ und d‘ in Bachs C-Dur-Partita.
Der vierte Satz könnte fast eine Art Hip-Hop sein.
Der fünfte Satz ist eine (mindestens) zweistimmige Studie über geräuschhafte Flageolett-Klangfarben und simultane Wechselnoten – eine große Herausforderung für die Finger einer jeden Interpretin.
Satz I und II entstanden ausdrücklich für Barockvioline, können aber auch auf der modernen Violine gespielt werden. Bei Satz III, IV, V verhält es sich genau umgekehrt.
Ich danke Sara Cubarsi von Herzen für die wunderbare Zusammenarbeit, während derer sie sich jedem Detail, jeder mikrotonalen Differenzierung mit Liebe und Hingabe widmete.
Sven-Ingo Koch