Interview mit Benjamin Kobler
Seit der Arbeit an „Rekurs“ im Jahre 1997 verbindet Benjamin Kobler, Pianist des Ensemble musikFabrik und den Komponisten Orm Finnendahl ihre musikalische Zusammenarbeit. Auch das Video des Werkes „Versatzstücke“ entspringt diesem künstlerischen Dialog.
Bettina Schleiermacher: Du kennst den Komponisten bereits von mehreren gemeinsamen Projekten. Vor welchem Hintergrund schreibt Orm Finnendahl sein Stück „Versatzstücke“ für Klavier und Zuspielband?
Benjamin Kobler: Orm war zu diesem Zeitpunkt Leiter des Instituts für Neue Musik an der Hochschule der Künste Berlin. 1999 gewann er den Busoni Kompositionspreis der AdK in Berlin. Zur Preisverleihung entstand das Werk „Versatzstücke“ für Klavier und Zuspielband. Orm hatte bereits vor der Komposition dieses Werkes viel Erfahrung im Bereich elektronische Musik und Computermusik, in diesem Stück probierte er dann ein neues Computerprogramm aus, so dass wir in einem längeren Prozess daran arbeiteten, die Zuspielung gemeinsam zu generieren.
BS: Wie können wir uns die Zusammenarbeit zwischen Dir als Interpret und dem Komponisten bei einem solchen Werk vorstellen?
BK: Orm kommt mit vielen Ideen zu den Klängen in die Probe, die er für die Zuspielung aufnehmen möchte. Die genaue Ausführung für den gewünschten Klang am Instrument suche ich dann aber durch Ausprobieren, durch Improvisieren. Manchmal schaue ich auch einfach, was pianistisch funktioniert, was sozusagen gut in der Hand liegt. Und bei dem 4. Satz zum Beispiel hat Orm mir für eine bestimmte Stelle verschiedene Ideen und Möglichkeiten vorgespielt. Letztendlich hat er eine Version ausgewählt die mir spontan am besten gefallen hatte und diese dann weiter gestaltet.
BS: Auf dem Video kann man gut sehen, wie Du das Klavier „bearbeitest“ und wie unterschiedlich die Klänge in den einzelnen Sätzen entstehen. Wie setzt der Komponist das Klavier als Instrument in diesem Werk ein?
BK: Der vierte Satz, in dem ich tatsächlich an den Tasten spiele, fällt quasi aus dem Rahmen. Die Wiederkehr der Untoten und Zombies, dies ist eine Assoziation, die Orm im Zusammenhang mit dem plötzlichen Auftauchen des „klassischen Konzertpianisten“ im 4. Satz erwähnt hatte…. In den ersten drei Sätzen ist das Verhältnis umgekehrt. Die Musik spielt sich da hauptsächlich im elektronischen Teil ab.
BS: Wie funktioniert das Zusammenspiel mit der elektronischen Zuspielung?
BK: Das Klavier wird von der Elektronik beinahe aufgesogen. Bei den musikalischen Höhepunkten spielt das Klavier sogar gar nicht. Aber mit der ersten Tonfolge setze ich die Komposition sozusagen in Gang, sie wird daraufhin von der Elektronik wie in einem Kanon erst wiederholt, dann imitiert und später weiter verändert. Also alles, was man im Folgenden hört ergibt sich aus dieser ersten Tonfolge.
Das ist auch Orms Thema: die Elektronik, die Reproduktion von Klang, das Maschinelle im Verhältnis zum menschlichen Individuum. Die Medien, die uns heute so selbstverständlich umgeben, auch in der Komposition einzusetzen, finde ich sehr zeitgemäß. Mit gefällt Orms Herangehensweise an seine Kompositionen, bei denen er Lautsprecher, Mikrophone und Computerprogramme einsetzt, deshalb sehr gut.
Der fünfte Satz ist dann sehr ruhig, fast ohne Aktion. Das hat eine gewisse Poetik, eine große Offenheit. Gleichzeitig macht sich Ratlosigkeit breit, was auch eine Aufforderung an den Zuhörer ist weiterdzudenken. Hier können wir eigentlich nicht stehenbleiben, aber wie könnte es weiter gehen? Orm gibt uns an dieser Stelle keinen Lösungsweg an die Hand, wir müssen selbst überlegen…
BS: Das Klavier wird in der zeitgenössischen Musik immer wieder fernab seiner ursprünglichen Erfindung und mit völlig neuen Spieltechniken eingesetzt. Wie nimmst Du selbst Dein Instrument in diesem Werk wahr?
BK: Ich spiele bei „Versatzstücke“ natürlich nicht zum ersten Mal im Inneren des Instrumentes. Doch es kommen auch einige Klänge vor, die ich so noch nicht gehört hatte. Der Klang zu Beginn des dritten Satzes klingt zum Beispiel wie ein Nebelhorn auf einem großen Dampfer. Andere Klänge erinnern bisweilen an eine indische Sitar, und Orm entführt uns hier immer wieder in Klangwelten, die dem klassischen Klavier relativ fremd sind.
Der Hauptaspekt für mich als Interpret ist allerdings doch das präzise Spielen im Inneren des Klaviers und der Wechsel zwischen den vielen unterschiedlichen Spieltechniken. Dann im vierten Satz wieder auf das herkömmliche virtuose Spiel auf der Klaviatur umzuschalten war in den ersten Konzerten eine große Herausforderung für mich. Ein bisschen anders als sonst fühlt es sich dann schon an, wenn ich mich an die Tasten setze…
BS: Im Gegensatz zu einem Kammermusik- oder Ensemblewerk spielt sich die Interaktion hier zwischen Dir als Interpret und der elektronischen Tonspur ab. Was ist das Besondere an dieser Arbeit?
BK: Die Elektronik gibt vor allem Sounds vor, den musikalischen Puls muss ich dann selbst empfinden. Dazu höre ich mir die Tonspur sehr oft an – bis ich sie beinahe auswendig kenne – und versuche beispielsweise Auftakte in der Musik zu finden, die mir meinen Einsatz anzeigen. Bei der Improvisation oder auch bei Werken mit einem Dirigenten ist diese Rhythmusgeschichte viel leichter.
BS: Aktuell probt ihr an Orms Trio „Rekurs“, das am 2. Februar im Studio des Ensemble musikFabrik in Köln aufgeführt wird. Wie unterscheiden sich diese beiden Stücke, wo treffen sie sich?
Departure 6 | 2. Februar 2014 | Sudio des Ensemble musikFabrik | Köln
BK: Bei diesem Trio spielen wir einen ersten Teil Musik, der gleichzeitig im Moment des Spiels aufgenommen wird. Dann spielen wir einen zweiten Teil, wozu parallel der erste Teil wiedergegeben wird. Auch dieser Abschnitt wird wieder aufgenommen und zum Schluss von einem dritten Teil überlagert.
Das Werk beginnt zunächst mit einem sehr markanten, lauten Klang und es hat eine irre Wirkung, wenn wir das wieder aus den Lautsprechern hören, was wir ja erst gerade live gespielt hatten, während wir selber den Anfang des zweiten Teils spielen.
Es geht also in beiden Werken um diese technischen Aspekte und um die Reproduktionen von Klang. Allerdings ist „Rekurs“ komplett ohne elektronische Klänge komponiert, es wird immer nur wiedergegeben, was gerade vorher instrumental live gespielt wurde. Hier ist auch alles metrisch klar gebunden, wir erschaffen gemeinsam den Rhythmus des Stückes. Das ergibt eine ganz andere Klangwelt, als die vom Computer aus den Klängen des Klaviers generierte Zuspielung von „Versatzstücke“.
Beide Werke zeichnen sich durch virtuose Höhepunkte, mit vielen Tönen in extremer Dichte und großer Klangfreude aus. Das ist dann wie ein Feuerwerk und es ist ganz viel Klangzauber mit im Spiel.
Benjamin Kobler, Klavier | Orm Finnendahl, Komposition und Klangregie | Elmar Fasshauer, Kamera