26. Juni 2012

musikFabrik im WDR | 42

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Georg Friedrich Haas hat sich im Interview mit den Musikern Carl Rosman und Dirk Wietheger über sein Werk „Ich suchte, aber ich fand Ihn nicht“ geäußert. Das Werk wird beim 42 Konzert der „musikFabrik im WDR“-Reihe am 30.06.2012, um 20 Uhr, im WDR Funkhaus erklingen.

Ein Kommentar von Andreas Günther

Innovative Experimente mit der Gestalt des Klangs kennzeichnen auch das OEuvre von Georg Friedrich Haas. Immer wieder lotet er in seinen Kompositionen die Übergänge zwischen vertrauten und ungewohnten Klangbildern aus, indem er die Grenzen des temperierten Tonsystems mit Mikrointervallen verschiedenster Abstufungen (also Intervallen, die kleiner sind als der gängige Halbton) aufbricht und so eigenwillige mikrotonale Klangwelten schafft, für die Ivan Vysnegradskijs Entwurf einer „Ultrachromatik“ und die mikrotonalen Konzepte eines Alois Hába, Harry Partch oder James Tenney historische Bezugspunkte bilden. Mikrotonalität und eine subtil ausgearbeitete Harmonik prägen auch das 2011 als Auftrag des Ensemble musikFabrik entstandene Ensemblewerk „Ich suchte, aber ich fand ihn nicht.“, das vor zwei Wochen in München in der Reihe musica viva seine Uraufführung erlebte. Im Unterschied zu den beiden anderen heute gespielten Werken von Nicolaou und Grisey, die auf außermusikalische Bezüge ganz verzichten, legte Haas seiner Komposition einen Text zugrunde. Es handelt sich dabei um Textstellen aus der Bibel, genauer gesagt um einige Zeilen aus dem dritten und dem fünften Kapitel des Hohelieds Salomons. Bereits in der Oper Die schöne Wunde (2001/03) hatte Haas in einem der Zwischenbilder auf die zentrale Zeile „Ich suchte, aber ich fand ihn nicht“ zurückgegriffen. Nun wählte er sie für den Titel seines Ensemblestücks aus. „Das Hohelied“, so Haas, „ist eines der kostbarsten Beispiele erotischer Literatur. Ich verstehe den Text ausschließlich in seiner erotischen Komponente. Als solches ist er auch die Basis des Stückes.“ Doch natürlich lassen sich die anderen Bedeutungsebenen dieses Textes, der als erotisches Gedicht oder Liebesgeschichte, aber auch als Gleichnis gedeutet wurde, nicht völlig ausblenden. Von Einsamkeit und vom Suchen, von Enttäuschung, Hoffnung, Versprechen und Begehren erzählen die Zeilen und vielleicht auch – ohne dass es allzu vordergründige Entsprechungen gäbe – die Musik. Auch wenn Haas freilich jede Form einer Eins-zu-eins-Übersetzung des Textes in Musik völlig fremd ist, scheint sich die im Text angelegte Thematik des Suchens in gewisser Weise in der Form des Stückes wiederzufinden.

Haas errichtet weder ein architektonisches Gebilde noch beschränkt er sich auf einen einzigen zielgerichteten Prozess. Seine Form entwickelt sich vielmehr so, wie sich eine Landschaft demjenigen zeigt, der sie langsam und Schritt für Schritt erwandert. Haas’ Musik verbleibt im Brüchigen und Instabilen, sie schürt Erwartungen und enttäuscht diese auch. Ausdruck dieser Brüchigkeit ist etwa gleich am Anfang ein – wie Haas es beschreibt – grob gerastertes Glissando, in dem die Tonhöhenverlauf nicht gleiten, sondern in Vierteltonabständen eher ruckartig voranschreiten. Im Verlauf der Stückes löst Haas die Unterteilungen des Halbtons dann immer feiner auf, vom Viertelton zu Beginn über sechsteltönige Abstufungen bis hin zum Glissando mit stufenlos gleiten- den Tonhöhenänderungen. Neben der Harmonik sorgt eine äußerst farbige und variantenreiche Instrumentation des Ensemblesatzes für feinnervige Klangfärbungen. Neben dem Einsatz eines Kontrafortes kommt vor allem den Doppeltrichter-Instrumenten unter den Blechbläsern eine  besondere innovative Bedeutung zu. Haas betritt hier mit dem Einsatz gleich mehrerer dieser speziell entwickelten Instrumente – die Stimmen von Horn, Trompete und einer der beiden Posaunen werden mit jeweils zwei Schalltrichtern gespielt – Neuland im Bereich der Ensemblemusik. Durch den differenzierten Einsatz verschiedener Dämpfer können nun mit den beiden gleichzeitig klingenden Schalltrichtern ganz ungewöhnliche Klangwirkungen  erreicht werden, wie sie bis dato auf herkömmlichen Instrumenten undenkbar waren. Haas belässt dabei die Effekte dieser „Double bell“-Instrumente keineswegs im Akzidentiellen. Genauestens notiert er die Aktionen der Musiker mit Trichtern und Dämpfern und bindet sie so als wesentliches strukturelles Element in den Ensemblesatz ein.