Florentin Ginot: Du hast deine Recherche für Intermezzi begonnen, indem du dich mit jeder Musikerin und jedem Musiker einzeln getroffen hast und uns gefragt hast, wie wir uns gerne in dieses Werk einbringen wollen. Wie bist du mit all diesem Material umgegangen?
George Aperghis: Es war eine Gelegenheit, euch alle mit euren individuellen musikalischen Interessen kennenzulernen. Das hält mich davon ab, ein rein abstraktes Stück zu schreiben, bei dem ich alle Entscheidungen selbst treffe. Das kann auch passieren, aber hier hatte ich die Möglichkeit euch zu treffen! (lacht) Jeder Musiker kam mit etwas anderem: Manche wollten singen, sprechen, das Instrument in eine bestimmte Richtung drängen, manchmal mit Erweiterungen, wie im Fall der Doppeltrichter-Instrumente. Kurz gesagt, es war eine Chance, ein Gefühl für die Neugierde eines jeden Musikers zu bekommen, und dabei …
FG: Den Musiker zu erweitern?
GA: Genau – eigentlich geht es um den Musiker mit Erweiterungen. Wenn einmal alles gesagt und niedergeschrieben wurde, ist es mein Job euch neu zu erfinden. Erst, euch zu vergessen und dann euch neu zu erfinden. Es ist so, als hätte ich alles geträumt – was mir dann erscheint sind imaginäre Portraits, in all ihren unterschiedlichen Farben. Ich habe wirklich das Gefühl, dass die Art, wie ihr euch verhaltet, nicht nur am Instrument aber auch im Café oder im Restaurant, eine große Rolle spielt. Ich kann sehen, wie einer von euch ein bisschen verschmitzt ist, ein anderer ist schüchtern… es gibt viel wahrzunehmen. Das ist auch mein Stil bei der Inszenierung meiner Stücke: Ich sehe viel zu und mache mir ständig Notizen. Jetzt, da ich diese tiefe musikalische Freundschaft mit euch eingegangen bin, zwingt sie mich ein Stück zu schreiben, dass nicht dasselbe ohne diesen Prozess wäre. Intermezzi überrascht mich selbst – der Prozess überrascht mich.
FG: Du hast vor einiger Zeit erwähnt, dass dieses Stück ein Wendepunkt für dich ist, eine Veränderung in deiner Art zu arbeiten?
GA: Ja, das ist die eigentliche Idee von Intermezzi – Zwischenmusiken. Das heißt, dass da ein unheimlicher Berg an Material ist, der am Ende keine Zugehörigkeit, keine Rolle, keine Funktion, keine Folge hat. Das Material, wartet nur. Ich habe mich dafür entschieden nicht irgendetwas ‘zu bauen’, kein sichtbares Konstrukt über diese verschiedenen heterogenen Materialien zu stülpen, die alle in verschiedene Richtungen gehen, sondern im Gegenteil, der Idee der Zwischenspiele zu folgen. Mit anderen Worten: Es ist eine Klammer die sich öffnet, innerhalb derer sich eine andere Klammer öffnet, die sich wieder schließt und so weiter… Das heißt, dass ich keinen Plan habe, außer der Form. Am Ende habe ich nichts zu sagen, außer euch spielen zu lassen, euch die Bestandteile abliefern zu lassen, gemäß dem Eindruck, den ich von euch habe. Diese Teile erscheinen an verschiedenen Positionen, wie ein sich bewegendes Karussell – das Publikum entdeckt sie immer wieder in einer anderen Syntax.
FG: Inszenierst du letztendlich die Körper der Musiker auf der Bühne?
GA: Ich inszeniere die Musik eines jeden Musikers, und dann natürlich ihre Körper, in Verbindung mit der Musik. Wenn die verschiedenen Elemente in verschiedenen Richtungen und Umgebungen wiederkehren, muss der Zuhörer sein Gedächtnis anwenden. Ich habe nichts Konkretes zu sagen – ich schweife ab, ich öffne klammern, ich schließe sie wieder. Das sind nichts als Zwischenspiele. Hier kommt auch die Schwierigkeit her, an einer zugrundeliegenden Konstruktion festzuhalten: die Authentizität und Unabhängigkeit jedes Fragments beizubehalten… Gleichzeitig soll das Stück organisch sein. Es muss einen Körper geben, einen großen Körper, der atmet…
FG: Wie hast du dir am Ende den Einsatz der Künstler auf der Bühne vorgestellt, die Energie, die du mit dem Stück anstrebst?
GA: Ich kann hierauf keine richtige Antwort geben, weil ich noch nicht gesehen habe, wie ihr es spielt! Ich kann mir vorstellen, dass es euch eine Menge Energie abverlangt, von der ich glaube, dass ihr sie habt. Ich hätte so ein Stück nicht für ein Ensemble ohne Energie geschrieben. (lacht) Ich bin nicht selbstmordgefährdet! Diese Energie kann neben der Musik weitere Charakteristika zeigen, die auf der Bühne interessant sein könnten. Gibt es Dinge die wir mit dieser Energie weitertreiben können? Können wir euren Stil, auf der Bühne zu spielen, einfärben, übertreiben? Vielleicht sollte ich sagen: Alles ist in der Musik und es gibt nichts zu sehen. Oder vielleicht: Wie können wir mit szenischen oder körperlichen Elementen spielen, so dass das Material eine ganz neue Bedeutung annimmt?
FG: Was mich sehr interessiert: Wie vergegenwärtigst du die Energie, die während der Performance zu spüren ist, wenn du allein an deinem Schreibtisch sitzt, bevor du uns überhaupt spielen gehört hast? Wie, glaubst du, kommt diese Energie auf?
GA: Ich habe das Ensemble vor ein paar Jahren bei der Preisverleihung des Mauricio Kagel Musikpreises spielen sehen. Ihr habt ein Stück von Kagel aus dem Windrose Zyklus gespielt. Dieser Moment hat sich mir als deutliches Bild eingeprägt – etwas, das manchmal bei einer ersten Begegnung passiert. Danach haben wir uns kennengelernt, ich habe andere Musik von euch gehört, andere Klänge. Ich habe auch Rebecca Saunders gesehen, die mit euch während einer Campus Musikfabrik Phase gearbeitet hat, zu der ihr uns beide eingeladen hattet. Das war sehr wichtig für mich: Ich konnte andere Seiten von euch sehen, die sie herausforderte, ganz andere Sachen als die, die ich verlangte. Wir bewegen uns in völlig verschiedene Richtungen.
Um meine Energie zu finden, mache ich mir das Wissen zu Nutze, dass das Ensemble sie auch rüberbringen wird. Ich bin immer auf der Suche nach Zufällen – für mich ist es dort am interessantesten, wo meine künstlerischen Problemstellungen mit dem zusammentreffen, was die Musiker mir anbieten.
Das Interview führte Florentin Ginot am 23. März 2016 in Köln. Eine ausführliche Fassung erschien in der Neuen Zeitschrift für Musik.