22. Februar 2024

Die Stimmen hörbar machen

Marco Blauuw im Gespräch zu seinem Montagskonzert „In the Cage„– über seine Beweggründe sich mit zeitgenössischer Musik aus der Ukraine zu beschäftigen und seine Zusammenarbeit mit den Komponist*innen Anna Arkushyna, Anton Koshelev und Anna Korsun:

Warum beschäftigst du dich jetzt mit Künstler*innen und Komponist*innen zeitgenössischer Musik aus der Ukraine?

Marco Blaauw: Es ist schon zehn Jahre her, dass die Krim überfallen wurde. Und jetzt hat sich seit zwei Jahren der Krieg über das ganze Land ausgebreitet und eigentlich ist die ganze Welt mehr oder weniger involviert. Es wird aber immer weniger in den Medien thematisiert, so meine Empfindung.
Ich selber habe das Gefühl, dass wir als Zuschauerinnen und Zuschauer nicht so richtig wissen, was wir tun können.
Ich glaube, unsere mächtigste Waffe gegen den Krieg ist vielleicht die Kultur, in unserem Fall die Musik.
Deswegen habe ich seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 22, angefangen, mich viel mehr mit der Neuen Musik aus der Ukraine zu beschäftigen. Ich habe dafür auch Hilfe bekommen unter anderem von Anna Korsun – sie hat mir eine Art Wegweiser gegeben.
Ich war auch der Ansicht, dass es gut und wichtig wäre, Komponist*innen aktiv zu beauftragen.
Anfangs konnte ich mit einem eigenen Budget Anton Koshelev einen kleinen Auftrag geben. Adrian Mokanu bekam danach einen, finanziert von der I&I foundation und uraufgeführt im Rahmen des Konzerts “Wavespace” im letzten November. Mithilfe der Kunststiftung NRW konnte ich dann Aufträge an Anna Korsun, Anna Arkushyna und einen weiteren an Anton Koshelev vergeben. 

Wie ist die Zusammenarbeit bisher?

MB: Die Arbeit von Anton Koshelev wird sehr bestimmt von den Folgen des Krieges. Er musste sein Zuhause in Odessa verlassen und konnte in der Schweiz aufgenommen werden. Die Hochschule Luzern hat ihm geholfen, dort eine Wohnung zu finden und sein Leben langsam aufzubauen. Aber ich merke, wie schwer das ist. Die Arbeit kommt dementsprechend langsam voran. Er hat vieles vor, aber es ist sehr schwierig, in diesen Umständen etwas konkret umzusetzen. Es ist ja klar, wenn deine Wurzeln aus der Erde gezogen werden, dann hat man wenig Halt und man schwimmt erstmal im Geist und auch im Körper. Man kann gar kein Fuß fassen – die Familie ist weit weg, die Sprache ist fremd, die Kultur ist fremd. „Wo bin ich?“ ist die große Frage. Das äußert sich in seinem Fall auch im Komponieren, indem er ständig nach der richtigen Sprache sucht. Wir stehen seit 2022 oft im Austausch. Er hat mir immer wieder Skizzen geschickt, über die wir sprachen, die ich auch versucht habe aufzuführen – ein Konzert gab es auch schon.
In der ersten Fassung seines Solowerks Lonely courage hat er bewusst zwei ganz unterschiedliche Notationsweisen benutzt. Eine Grafische, in der auch viel Sprache enthalten war, und eine, so wie wir es kennen, in konventioneller Notenschrift. Nach der ersten Probe war er damit unglücklich und hat weitergeforscht. Jetzt ist die Partitur eine Art Mischung von beiden Notationssprachen.
Auch mit Anna Arkushyna ist die Zusammenarbeit super interessant. Sie ist eine sehr produktive Komponistin. Sie lebt in Graz und hat dort auch studiert. Bevor sie mit dem Trio Crown Shyness anfing, war sie beim IRCAM in Paris.
Es ist das erste Mal, dass sie Kammermusik für Blechbläser komponiert. Man merkt an allem, dass sie schon sehr erfahren ist. Sie schreibt vor allem für Stimmen. Das, was sie sich für uns Blechbläser vorgestellt hat, ist sehr einzigartig, virtuos und farbenreich, war aber nicht alles physisch für uns umzusetzen. Nach der ersten Probe hat sie viel korrigiert und  umgeschrieben. Das ist aber normal in so einem Prozess. 

Sind denn die Themen, die du vorhin angesprochen hast, z.B. Verlust und Entwurzelung, was gerade alle drei Komponisten umtreibt? 

MB: Ich bin da sehr zögerlich.Es ist ja unser Blick auf die Situation. Wir schauen auf die Ukraine als ein großes Land, aber es ist natürlich ein Land mit vielen Kulturen und unterschiedlichen Sichtweisen, unterschiedlichen Beziehungen zum Krieg. Was, glaube ich, aber extrem wichtig ist und was wir als Musikfabrik vielleicht noch mehr machen können, ist, diese kulturellen Änderungen, Entwicklungen und Reaktionen auf den Krieg zu verstärken und thematisieren. Ich habe das Gefühl, wir könnten da noch viel mehr lernen und so vielleicht auch vielen Ukrainer*innen eine Stimme geben.

Es ist eine absolut grausame Situation, aus der es momentan eigentlich kaum einen Ausweg zu geben scheint. Und wie überlebt man eigentlich? Wie kann man alles was da passiert, so viel Destruktion, verarbeiten? Ich glaube immer noch, dass Musik ein ganz kräftiges Werkzeug ist, um Traumata zu verarbeiten, es kann helfen Abstand zu gewinnen und vielleicht sogar etwas zu verstehen, oder auch einfach nur Trost bieten. Ein Mensch braucht Trost und Schönheit, sonst gibt es keinen Grund mehr, in die Zukunft zu schauen.

Wir hören in dem Konzert zwei Werke von Anna Arkushyna „The Song of Future Human“ aus dem Jahr 2015 und eine Uraufführung von „Crown Shyness“ aus diesem Jahr. Hast du schon in beide Stücke reingehört und kannst sagen, ob sich in ihrem Werk irgendwas verändert hat? Oder worin sie sich unterscheiden?

MB: Das würde ich die Komponistin gerne fragen. Ich kann das nicht momentan nicht beurteilen, aber das ist eine interessante Frage für sie bei der Einführung, bei der alle drei anwesend sein werden.
Ich habe viele Werke von ihr gehört und bin ihre Werkliste möglichst genau durchgegangen. Es ist viel zugänglich im Internet, auf YouTube und Soundcloud. Zusammen mit Maxime Morel habe ich Werke selektiert, was interessant und passend wäre. Und dann habe ich geguckt, was gerade im Ensemble zu uns passt. Also, wer von den Musiker*innen steht zur Verfügung und wie können wir Kolleg*innen involvieren. So wurde das Werk ausgesucht. 

Und wie bist du auf Anna Korsun gekommen?

MB: Annas Werk kannte ich schon. Ich wusste, dass sie oft zum Unterrichten in Amsterdam ist. Ich finde sie ist eine super interessante Komponistin. Deswegen war es für mich relativ einfach, dort Kontakt herzustellen. Gesprochen haben wir uns direkt nach dem russischen Angriff im Jahr 2022 – was immer noch so absurd klingt, wenn man das sagt. Es kann doch nicht wahr sein, dass das wirklich passiert ist, aber es ist so.  Es ist danach auf einmal sehr viel in den Gang gekommen für die ukrainische Kultur. Ich befürchte aber, dass das Interesse nachlässt, weil der Krieg länger dauert. Es gibt aber überhaupt keinen Grund, da irgendwie nachzulassen. Ganz im Gegenteil: Wenn wir jetzt genauso viel investieren würden in die Kultur wie in Waffen, dann wäre ich sehr neugierig, was passieren würde. Auf menschlicher Ebene, aber auch für die Identität der Ukraine. Ich glaube, diese würde viel stärker dastehen, wenn sie mehr Präsenz hätte.

Ist das auch dein Ziel mit diesem Konzert? Die Präsenz der Ukraine steigern?

MB: Naja, also ein Montagskonzert kann nicht so viel bewegen. Aber es sind kleine Tropfen, winzig kleine Tropfen. Und für mich ist es persönlich super interessant, immer neue Kulturen kennenzulernen. Aber auch neue Komponist*innen kennenzulernen, neue Musiksprachen kennenzulernen und zu sehen, was wir da beitragen können.
Es geht in dem Konzert darum, die Stimmen hörbar zu machen.

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