Klubmusik? Neue Musik? Pop? Elektroakustische Avantgarde? Die Grenzen zwischen den musikalischen Genres und Traditionen – zwischen „high“ und „low“, aber auch: zwischen Tanzmusik, Klangkunst und Konzertmusik – sind in den letzten Jahren immer durchlässiger geworden; vielleicht könnte man sagen: die Verflüssigung und die Dezentrierung sind wesentliche Kennzeichen der aktuell avanciertesten Musik. Und zwar weit jenseits der älteren Klassik-trifft-Pop-Versuche der „Yellow Lounges“ und verwandten Formate, deren Produkte ja doch meist nur aus prätentiös-vulgärromantischem Kitsch bestanden. In der neuesten Generation elektronisch arbeitender Pop-Produzent*innen „trifft“ nichts mehr aufeinander, weil ihnen die Verschränkung der alten Gattungen je schon zur künstlerischen Arbeitsgrundlage geworden ist. Der Wechsel zwischen den Rollen und Institutionen ist für sie selbstverständlich, sie arbeiten als DJs, entwickeln Klanginstallationen in Kunstgalerien und geben Konzerte in klassischen Bühnenformaten.
Unter den Protagonisten dieser neuen elektronisch-elektroakustischen Avantgarde ist Phillip Sollmann ein Pionier – und bis auf den heutigen Tag ein wandlungsreicher und eleganter Virtuose. Sollmann, der sich als DJ Efdemin nennt, hat sich für den abstrakten Minimalismus der Neuen Musik schon immer ebenso interessiert wie für die körperbewegenden Beats von Techno und House; die historischen Sedimente repetitiver Rhythmen gelangen in seiner Kunst gerade so zur Erscheinung wie die Materialität reinen Klangs. In dem „Monophonie“-Projekt, das er jetzt für das Ensemble Musikfabrik entwickelt hat, wird dieses stete Changieren der Sollmann’schen Kunst erstmals voll dialektisch ausformuliert – im historischen Bezug auf die Musik Harry Partchs, die sich als ihr „geheimes“ Vorbild ansehen lässt wie der neueren Pop-Avantgarde generell.
Seine Karriere als DJ hat Sollmann in Hamburg begonnen, dort entwickelte sich in den späten Neunzigerjahren im Umfeld des Plattenlabels Dial ein gleichermaßen verspielter wie ästhetisch und historisch hoch reflektierter Autoren-Techno; ein Stil, der seine Wurzeln in der tanzflurbeschallenden Funktionsmusik nicht verleugnete, aber doch ein mindestens ebenso großes Interesse an der reinen Schönheit von Klängen besaß. Auf Dial erschienen dann ab 2000 auch die EPs und Alben von Sollmann, mit dem „Efdemin“ betitelten Werk aus dem Jahr 2007 wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: In aufsehenerregender Weise mischte er hier analoge und elektronische Sounds, Glockengeläut und Naturgeräusche.
Schon hier verschränkten sich in exemplarischer Weise die Produktionsweisen des DJs, Komponisten und Klangkünstlers. Anfang der Nullerjahre hatte Sollmann sich zunächst vom Plattenauflegen verabschiedet und war an das Institut ELAK nach Wien gegangen, um durch das Studium der Computermusik dort seinen Horizont zu erweitern. 2005 zog er nach Berlin und wurde im damals gerade eröffneten Technoklub Berghain zum Resident DJ. Doch beschallte er nicht nur in fünf- bis achtstündigen Sets die langen Tanznächte in der Panorama Bar mit ihren euphorisch treibenden Crowds. In den „Elektroakustischen Salons“, die regelmäßig im großen Saal des Berghain stattfanden, mixte er Minimal Music mit belgischem Postpunk, Field Recordings mit Alvin-Lucier-Kompositionen, abstrakten Techno mit elektroakustischer Musik.
Seine nun wieder regelmäßigen Einsätze als DJ wechselten mit Klangkunstprojekten und Künstlerresidenzen in Wien, Rom und Kyoto; so wuchsen die unterschiedlichen Stränge des Sollmann’schen Schaffens allmählich immer stärker zusammen. Im „Monophonie“-Projekt versucht er sich nun gewissermaßen an der dialektischen Aufhebung der musikalischen Gegensätze: Die Instrumente des visionären Komponisten Harry Partch kombiniert Sollmann darin mit Klangobjekten des italoamerikanischen Designers und Bildhauers Harry Bertoia sowie mit der Doppel-Sirene des Berliner Universalgelehrten Hermann von Helmholtz. Mit ihnen werden die Mitglieder des Ensembles Musikfabrik eine schwebende, repetitive Musik erzeugen, die – so Sollmann – ebenso tanzbar sein könnte, wie sie durch den inzenatorischen Eigensinn der Instrumente einen stark bühnenhaften, performativen Charakter erhält. Eine Musik mithin, die sich an die Motorik des Körpers ebenso richtet wie an die Ohren und Augen: Über die Dauer des Stücks durchläuft die Bühne ein Farbspektrum, das die mikroskopisch kleinen musikalischen Entwicklungen paraphrasiert.
An den Instrumenten von Partch, sagt Sollmann, habe ihn von vornherein vor allem ihre vollständige Sound-Autarkie interessiert. Sie klingen so, wie sonst gar nichts klingt; und das heißt, sie entziehen den Hörern jegliche Art von historischer Assoziation. Stattdessen entsteht eine Musik mit einer eigenen Tradition: der ununterscheidbar gewordenen Verschränkung von Elektronik und Mechanik. Denn obwohl es – so Sollmann – ausschließlich mechanische Klangerzeuger im „Monophonie“-Instrumentarium gibt, sei die Prägung der Komposition durch digitale Produktionsweisen so stark, dass die Musik immer wieder eine elektronische Anmutung erhält.
Vielleicht könnte man sagen: So wie Partch sich mit seinen Instrumenten und seiner Musik aus den engen Grenzen der westlichen Musiktradition zu befreien versuchte – so treibt Sollmann diese Befreiung in der Verschränkung von digitaler und mechanischer Ästhetik, von Klubmusik und klassischer Kompositionskunst noch weiter voran. Im Sinne des Komponisten, wie er selbst meint: „Ich hatte immer das Gefühl, dass Partch zu Lebzeiten sein Instrumentarium und seinen Klangraum nicht endgültig erforschen konnte“, sagt Sollmann. Indem er die klanglichen Möglichkeiten dieser Ästhetik weiter erkundet und zur Erscheinung bringt, führt er sie voran in die Gegenwart und zugleich zu sich selbst zurück.
Jens Balzer
Dieser Text ist für unsere Saisonbrochüre 2017/1 entstanden.