30. September 2019

Medienkünstlerin Lea Letzel

Lea Letzel, Medienkünstlerin und Regisseurin, ist seit Anfang 2019 aktiv an den Montagskonzerte in der Musikfabrik beteiligt – eine Kammermusikreihe, bei der jedes Konzert von einem anderen Ensemblemitglied gestaltet wird. Dafür schafft sie eigens auf das musikalische Programm zugeschnittene Räume, Konzert- und Lichtsituationen. In enger Zusammenarbeit mit den KuratorInnen entsteht so ein ganz individueller Zugang zu den ausgewählten Musikstücken. Für das kommende Montagskonzert “Rhythm in Light” hat sie sogar mit Christine Chapman gemeinsam das Programm entwickelt. Am 7. Oktober wird es im Kölner Mediapark und am 13. Oktober bei PACT Zollverein in Szene gesetzt.

Über Theaterwissenschaft und Medienkunst zur Pyrotechnikerin: deine Installationen, Performances und Videoarbeiten sind vielseitig und in mehreren Disziplinen zuhause. Wie findest du dabei deinen Zugang zu Neuer Musik? Welche Möglichkeiten siehst du für die Transdisziplinarität und Neue Musik?

Meine Projekte sind zwar unterschiedlich in den Mitteln, die sie benutzen, kreisen aber doch immer um das Konzert als Aufführungssituation, in der ich Musik nicht als nur allein vom Klang dominierte Kunst wahrnehme. Die Hinterfragung des Mediums ist auch meines dualen akademischen und künstlerischen Studiums geschuldet, künstlerische Praxis und Reflektion sind in meinen Projekten untrennbar miteinander verbunden. Es ist die Suche nach echter Interdisziplinarität, die mich antreibt, also die Suche nach echtem Austausch zwischen unterschiedlichen spezialisierten Welten – und das ist auch der Kern meines Zugangs zur Neuen Musik.

Genau hier sehe ich auch die Möglichkeiten für die Neue Musik. Musikalische Neuerungen entstehen für mich nicht nur in der Suche nach neuen Klängen oder Spieltechniken, sondern eben auch in der grundsätzlichen Auseinandersetzung  oder Hinterfragung der Möglichkeiten der Aufführungssituation. Das liegt für mich einerseits an der engen Verwandtschaft, die Neue Musik und die Performancekunst ohnehin schon seit den frühen Avantgardebewegungen haben. Ich denke da vor allem an die frühen Experimente des Black Mountain College seit 1933 oder der russischen Avantgarden, die an der Auflösung der künstlerischen Gattungen gearbeitet haben. Anstelle der Auflösung interessiert mich aber vor allem erstmal die strukturellen Unterschiede und Ähnlichkeiten ernst zu nehmen. Die künstlerischen und musikalischen Avantgarden sind doch aus dem selben Geist geboren! Und sie sind über die Notation miteinander verbunden, die auch als künstlerische performative Handlungsanweisung verstanden werden kann. Musikalische Notation informiert nicht nur über den Verlauf einer Melodielinie oder den Klang eines Musikstücks, sondern choreographiert auch die Bewegung der Musiker*innen und trägt so zur Wahrnehmung der Musik als Performance, als Aufführung bei.

Ob Skateboard-Konzerte, Feuerwerkerei oder zuletzt in der Musikfabrik mit Musik als Dufterlebnis – ist Musik generell für dich mit allen Sinnen erfahrbar?

Zuallererst ist ein Konzert für mich also zunächst keine Erfahrung, die primär nur für einen Sinn ausgelegt ist, also nicht nur vom Hören dominiert wird. An der Erfahrung von Musik interessiert mich die „Liveness“ der Aufführungssituation. Als Zuschauer*in in einem Konzert prägt nicht nur der Klang meine Erfahrung des Stückes, sondern auch die Situation, in der sie stattfindet. Ich höre ja nicht nur zu, ich schaue ja auch!  Der Raum, in dem alles stattfindet, Licht. Musiker*innen beim Instrument spielen zuzusehen, ist ein zunächst zutiefst theatraler Vorgang, bei dem die Aufführungssituation für mich einen gleichwertigen Aspekt zur Erfahrung der Musik beiträgt.

Dabei gibt es in meiner Arbeit zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Zum einen sind das die Projekte, wie ich sie im Moment hauptsächlich mit dem Ensemble Musikfabrik im Rahmen der Reihe der Montagskonzerte einrichte. Da gibt es fertig Stücke, für die ich versuche so etwas wie eine ideale Hörsituation herzustellen. Einen Raum zu erfinden, der der Logik der Musik entspricht und nicht gegen sie arbeitet oder reine Dekoration ist. Weil die spezifische Aufführungssituation einen so großen Einfluß auf die Wahrnehmung der Musik hat, sind das teilweise nur kleine Interventionen im Raum, die Arbeit an den Übergängen zwischen den Stücken, die die gesamte Aufführung verändern können, ohne dass dabei ein Nebeneinander von Raum und Musik entsteht. Manchmal sind es allerdings auch größere inszenatorische Eingriffe, wie bei dem Montagskonzert „A view from Afar“ von Melvyn Poore, die inszenatorische Fragestellung nach der Rahmung und der Dauer des Konzerts. Ist es wirklich schon vorbei, wenn ich den Konzertsaal verlassen habe?
In meinen anderen Arbeiten stehen der Raum und die Musik die darin gespielt werden in direktem Austausch, beziehungsweise bedingen sich direkt. Bei dem Projekt „2 SECOND MANUAL“ zum Beispiel, das in Zusammenarbeit mit Dirk Rothbrust, der Geigerin Akiko Ahrendt und den drei Skateboardern Janosch Pughnaghi, Tim Hachen und Marcel Weber im Rahmen des Kölner ACHTBRÜCKEN Festivals entstand,  kommt dem Aufführungsort, nämlich ein Indoor-Skatepark, eine zentrale Rolle zu: Er ist nicht nur die Bühne des Konzerts, sondern gleichwertiger musikalischer Partner. Die hölzernen Rampen des Skateparks sind also kein Bühnenbild im klassischen Sinne, das eine Narration illustriert oder ein Atmosphäre visuell verdichtet, sondern gleichzeitig Form und Inhalt des Konzerts. Bei den Projekten mit Pyrotechnik in der Kölner Kunst-Station St. Peter, an denen Dominik Susteck oder Lucy Railton und Florian Zwißler beteiligt waren, ging es um den Klang der pyrotechnischen Effekte als musikalischen Partner. Die Beziehung von Musik und Feuerwerk ist ja eigentlich von einer strengen Hierarchie geprägt, bei der das Feuerwerk der musikalischen Dramaturgie folgt und ihr eine spektakuläre visuelle Komponente hinzufügt. Dabei klingen die Effekte selbst ganz fantastisch! Mit dem Aufführungsort, der Kölner Jesuitenkirche Kunst-Station St. Peter befinden wir uns auf jeden Fall an einem Ort, der mit dem Jesuitentheater eine eigenen Tradition von pyrotechnischen Effekten hat. Mir geht es also darum den Aufführungsort und seinen Kontext und ihn in seiner eigentlichen Funktionalität ernst zu nehmen.

Man könnte das auch als site-specific bezeichnen, andersherum empfinde ich aber auch den Konzertsaal oder die Black Box des Theaters als site-specific, den man immer wieder aufs Neue auf seine eigene Funktionalität und Örtlichkeit hin befragen muss. Bei dem Projekt „A CONCERT/ EIN KONZERT“, das in Zusammenarbeit mit Luísa Saraiva, Montserrat Gardó Castillo, Rie Watanabe und Florian Zwißler bestand, ist das Bühnenbild nicht Bühnenbild im klassischen Sinne, das zur Illustration einer Atmosphäre dient, sondern ist gleichzeitig das Instrument und die Grundlage des musikalischen Materials. Zwei Tänzerinnen bewegen sich durch den Bühnenraum, der aus 24 E-Gitarren besteht. Die räumliche Choreographie ist gleichzeitig auch das kompositorische Element der Musik der Abends, das zwischen Tanz, Konzert, Theater und Installation changiert.
Bei meinen Projekten stellt sich dann auch immer wieder die Frage nach Autorschaft ganz neu. Wer ist der* die Komponist*in des Projekts? Die Musiker*innen, die Tänzer*innen, die Skateboarder*innen, ich oder etwa wir alle zusammen? Dieser gemeinsame Prozess, der den*die Komponist*innen als geniale*n Autor*in zugunsten einer kollektiven Autorschaft ablöst ist es, der mich besonders interessiert und der ganz fantastische neue Möglichkeiten eröffnet. Darin liegt auch das Potential eines zutiefst politischen Moments.
Einer komplexen Situation wird mit Kommunikation begegnet und nicht mit Vereinfachungen.

Du arbeitest schon seit einiger Zeit mit dem Ensemble Musikfabrik zusammen. Wie ist der erste Kontakt zu Stande gekommen und wie hast du die ersten Begegnungen in Erinnerung?

Jetzt im Herbst sind es tatsächlich genau zehn Jahre, die ich das Ensemble kenne! Ich habe das Ensemble Musikfabrik noch während meines Studiums der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen kennengelernt. Mein Professor Heiner Goebbels hat ein Projekt initiiert, bei dem eine Gruppe von Student*innen die Möglichkeit bekommen hat, Solostücke der Mitglieder zu inszenieren. Das war nicht nur mein erster Kontakt mit dem Ensemble, sondern tatsächlich mein erster enger Kontakt mit Neuer Musik überhaupt, der für mich und meine weitere Arbeit absolut prägend war und ein Moment, um den ich auch zutiefst dankbar bin! Was für eine luxuriöse Situation als junge Studentin mit diesen fantastischen Musiker*innen arbeiten zu dürfen! Das Gießener Projekt, das im Herbst 2009 stattfand hieß „Open House“ und wir haben zusammen mit den Musiker*innen das ganze Haus bespielt, vom Studio über den Lichthof, bis einschließlich der Tiefgarage. Wir haben für jedes der Stücke einen besonderen Spielort festgelegt und das Publikum dann in  einem komplexen System in unterschiedlichen Kleingruppen durch das Haus geführt.
Eine der graphischen Partituren, die im Rahmen der Vorbereitungen von einer Studentin an die Glaswand  bei den Büroräumen übertragen wurde ist heute noch als Relikt zu sehen.

Dieses Projekt und die Arbeit mit den Musiker*innen war wirklich ein Initiationsmoment für mich. Ich habe in Gießen studiert, weil mich die Strukturen des Theaters interessieren, theatrale Mittel wie Licht und Effekte, aber auch die Frage, welcher Ort kann Bühne sein ganz jenseits der üblichen theatralen Strukturen und eine große Skepsis gegenüber Text auf der Bühne. In der Arbeit mit den Musiker*innen habe ich eine theatrale Qualität erkannt, die mich wirklich interessiert und die meine gesamte Theaterästhetik prägen sollte (und immer noch tut). Nachdem ich mein Studium in Gießen 2011 dann mit dem inszenierten Konzertabend „I never went south/ ein Konzert“ in Zusammenarbeit mit der Internationalen Ensemble Modern Akademie abgeschlossen habe, habe ich nochmal drei Jahre an der Kölner Kunsthochschule für Medien studiert.
Nach Köln zu kommen war dann ein wirklicher Glücksfall für mich, die örtliche Nähe zum Ensemble war es dann, die meine Arbeit weiter geprägt hat, aber vor allem auch die Zusammenarbeit mit anderen Kölner Musiker*innen wie Akiko Ahrendt, Dominik Susteck, Rie Watanabe und Florian Zwißler.Am 7. Oktober kuratierst du zusammen mit Hornistin Christine Chapman das nächste Montagskonzert in der Musikfabrik. Kannst du uns etwas über die Programmauswahl und die Zusammenarbeit erzählen?

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Christine Chapman ihr Montagskonzert mit mir zusammen erarbeiten wollte und nicht mit einem fertigen Programmvorschlag auf mich zukam. Wir haben uns schnell darauf geeinigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Medium Licht uns beide interessieren würde und dann zunächst nur ein paar Stückvorschläge in den Raum geworfen, die sich in unterschiedlichen Aspekten mit Licht befassen. Dabei ging es uns zunächst nicht darum, eine Analogie von Musik und Licht herzustellen, sondern unterschiedliche Qualitäten von Licht zu untersuchen. Zum Beispiel trägt Milica Djordjevics Phosphorescence (2014) den Lichtmoment schon im Titel. Der wird dann aber nicht direkt umgesetzt, sondern findet sich woanders, aber das verrate ich noch nicht! Ich freue mich sehr, daß wir auch die Arbeit Rhythm in Light (1934) von Mary Ellen Bute zeigen, weil sie neben der inhaltlichen Analogie von Licht und Musik auch die Projektion als Medium zeigt. Das Fantastische an den Montagskonzerten sind die großen experimentellen Spielräume, die das Format bietet, die Möglichkeit zum Ausprobieren.

Im Verständnis der „Probe“ kann es ja zwischen Musiker*innen und Theaterleuten schon mal zu einem Missverständnis kommen. Vom Theater kommend sind die Proben Momente des Ausprobierens. Da kann Material schon mal wieder verworfen werden, auch wenn man viel Zeit darauf verwendet hat, weil es nicht funktioniert, weil räumliche Verhältnisse nicht stimmen oder etwas anderes, das in der Umsetzung anders funktioniert, als in der Konzeption. Eine musikalische Probe hingegen, die durch die Partitur strukturiert ist, hat diesen Spielraum natürlich nicht. Da ist das Proben eher ein Einstudieren. Diese komplexen Probenprozesse werden auch durch die großartige Unterstützung von Martin Schmitz und Lukas Becker der Kölner littlebit GmbH ermöglicht und ich bin sehr dankbar, dass sich alle darauf einlassen. Das Studio des Ensembles ist ja keine klassische Black Box, sondern hat eine sehr eigene Charakteristik und ist visuell schon sehr dominant. Ich habe mir dort schon immer mal gewünscht auch ein Stück „im Arbeitslicht“ zu spielen, um den Raum ganz nackt zu zeigen. Eine Lichtsituation in der man in Probensituationen unglaublich viel Zeit verbringt, die das Publikum aber nie zu sehen bekommt und die aber eine ganz eigene Qualität hat. Dafür haben wir dann ein Stück gesucht. Im Konzert gibt es aber auch einen Moment, wo das Licht die Grundlage für eine neue Komposition von Christine Chapman und Florentin Ginot bildet und an der auch Marco Blaauw und Bruce Collings mit einer für sie ganz neuen Aufgabe betraut sind. Im gemeinsamen Ausprobieren hat sich so ein Moment der geteilten Autorschaft ergeben und das ist nicht nur produktiv, sondern macht auch unglaublich Spaß!

Deswegen ist es sehr schade, dass ich beim Konzert nicht dabei sein kann! Herzliche Grüße aus Kyoto, wo ich mich gerade als Stipendiatin des Goethe Instituts der Villa Kamogawa mit der japanischen Feuerwerkerei auseinandersetzen darf. Neben meinem Projekt hier, ist der Aufenthalt wunderbar und bereichernd auf allen Ebenen und ich freue mich schon darauf, die neuen Impulse beim Montagskonzerte-Festival im Januar miteinzubringen!