14. November 2018

Alban Wesly: Abschied nach 22 Jahren Musikfabrik

Als ich im Frühjahr 1996 gefragt wurde, in Essen ein Konzert bei der musikFabrik mitzuspielen, war das für mich der Anfang einer Verbindung von unzähligen musikalischen, sozialen, kulinarischen und sonstigen lehrsamen Erfahrungen. Auf dem Programm: Harrison Birtwistles ‘Secret Theater’, unter der Leitung von Johannes Kalitzke. Nicht viel später wurde ich als Mitglied eingeladen. In den folgenden Jahren dürfte ich viele Höhepunkte (wie auch Tiefpunkte) miterleben. Gleichzeitig lebte ich ein musikalisches Doppelleben, da ich seit 1985 auch Mitglied bin vom Amsterdamer ‘reed quintet’ Calefax. Die Konzertzahl beider Ensembles ist enorm gestiegen, und damit hat sich die Kombinierbarkeit beider Mitgliedschaften proportional gesenkt. Da ich im September 2018 auch noch angefangen habe, Fagott zu unterrichten am ‘Koninklijk Conservatorium’ in Den Haag, wurde es unvermeidlich, mich zu verabschieden von meinen Kölner Freunden. In Dankbarkeit schreibe ich hier einen kurzen Blogeintrag.

Zum Abschied nach 22 Jahren Musikfabrik

Mich nach 22 Jahren von der Musikfabrik zu verabschieden— das ist natürlich ein Anlass, zurückzuschauen. Große Rückblicke liegen nicht in meiner Natur, aber ich habe schon gemerkt: je älter man wird, desto mehr Spaß macht es!

Wie sehr ich das Fagott spielen auch liebe, und ebenso das richtig feine Zusammenspiel, das in einem Ensemble gefordert wird — es sind doch die ‘Ausnahme-Projekte’ die mich am meisten geprägt haben. ‘Ausnahme’ im Sinne von Instrumentierung, Theatralität oder etwa dem Entwicklungsprozess.

Projekte

John Cage (1998)
Das erste Projekt in der ‘Ausnahme’-Kategorie war bereits 1998, damals wurde ‘Ensemble Musikfabrik’ noch als ‘musikFabrik’ geschrieben, und waren wir zu Hause in Düsseldorf, in der Orangerie von Schloss Benrath. Dort arbeiteten wir wochenlang mit der Choreografin Reinhild Hoffmann an vielen Stücken von John Cage, und entwickelten ein Projekt das schließlich ‚asK Little autO where it wantS to Take You’ hieß. In dem /Das Projekt, die Gedankenwelt und Herangehensweise von John Cage kennenzulernen und sich ein wenig anzueignen, war eine Bereicherung meines Lebens, die ich immer noch in mir trage, beim Musizieren sowie im Alltag. Für mich heißt das: mit Offenheit allen Situationen gegenüber zu treten, (etwa) zu versuchen, alle möglichen Klänge als Musik zu betrachten, aber auch den Zufall zu lieben. Warum ‚asK Little autO where it wantS to Take You’ so komisch geschrieben wird? Weil es ein ‘Akrostichon’ ist, ein Art Wortspiel mit dem Namen KLOSTY, James, ein Fotograf und Freund von Cage. (Und ja, ich liebe Wort- oder Sprachspiele! So einmal, zweimal im Jahr höre ich einen Satz der ‘wahrscheinlich noch nie gesagt wurde’, dann freue ich mich immer und denke zurück an den Moment in der Düsseldorfer Tonhalle in 2005, wo wir Zeuge einer tollen ‘Uraufführung’ eines Satzes der Deutschen Sprache waren: Wir waren beteiligt an einem Musiktheatralischen Nachwuchs-Projekt und der Leiter hatte allen Kindern eine bestimmte Katzen-Rolle gegeben. Kurz vor der letzten Probe sagte er den wunderbaren und wahrscheinlich so noch nie ausgesprochene Satz “Die Clown-Katze ist leider noch in der Koran-Schule”. Irgendwie glaube ich, dass John Cage so einen Satz auch geliebt hätte.)

MVRDV (2002)
Im Nachhinein ist mir sehr bewusst, wie außergewöhnlich das Vertrauen war, das mir 2002 geschenkt wurde, als das Ensemble mir die Projektleitung überließ, mit dem Ziel eine Klanginstallation zu realisieren bei einer interaktiven Ausstellung der Rotterdamer Architekten-Gruppe MVRDV, im NRW Forum in Düsseldorf. Zwei Tage lang wurden Aufnahmen gemacht, mit elf Musikern im wunderbaren ZKM Karlsruhe, mit Musik und Text-Fragmenten. Die Aufnahmen liefen wunderbar, die Weiterentwicklung des Projektes aber nicht: bei der Eröffnung der Ausstellung war eine armselige, nicht-interaktive Klangspur zu hören, die etwa 1% meiner beabsichtigten Ziele darstellte. Warum ich dies trotzdem hier erwähne: weil ich in dem Projekt gelernt habe, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen, und weil die Kollegen mir den Misserfolg nie richtig (öffentlich) übelgenommen haben. Und nicht zuletzt weil, wie Johan Cruyff immer sagte, ‘jeder Nachteil seinen Vorteil hat’: mit den Aufnahmen aus Karlsruhe habe ich schließlich eine Collage gemacht, die für mich jetzt noch einen großen Wert hat, auch weil die Stimmen vieler Kollegen, ex-Kollegen und einige geschätzte Gastmusiker darin zu hören sind.
Die Collage ist hier zu hören.

Delusion of the Fury  (2013)
Das letzte Sonderprojekt, das ich hier erwähnen möchte, war 2013 die Inszenierung von Heiner Goebbels Harry Partchs Delusion of the Fury. Selten habe ich mich so privilegiert gefühlt — welcher Fagottist in der Welt darf in einer Vorstellung Schwertfechten, singen (als Pilger) und musizieren auf Instrumenten wie Spoils of War und Chromelodeon?

Diese Auflistung reicht vielleicht für jetzt, auch wenn die Liste der ‘Ausnahme-Projekte’ noch viel länger sein könnte. Vielleicht ist das der Grund, warum ich mich so lange in der MUFA wohl gefühlt habe: Ausnahmen sind hier eher Regel.

Menschen

Während des Schreibens dieser Rückschau (es gefällt mir immer besser!) kommt in mir von alleine ein Schüsselwort hoch, und zwar ‘Verbindung’. Die Verbindung mit Kollegen, Dirigenten, Komponisten, Solisten, Regisseuren, Musik und Ideen. Über die Jahre sind mir so viele ans Herz gewachsen! Bauckholt, Eötvös, Haas, Harvey, Kagel, Lachenmann, Lim, Rykova, Saunders, Stockhausen. Es sind nur zehn Namen von über hundert Komponisten, mit denen ich beim Ensemble Musikfabrik zusammenarbeiten durfte.

Mit vielen davon habe ich viel Zeit damit verbracht, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von meinem Instrument zu zeigen, was immer interessant und fast immer auch lustig war. Und hoffentlich hilfreich für viele Kompositionen, die zukünftig noch entstehen. Und, wenn wir dabei sind… ein Fagott Solo-Stück von Rebecca Saunders oder Helmut Lachenmann steht noch hoch auf meiner Wunschliste!

Wichtigster Bestandteil von den erwähnten Verbindungen sind aber natürlich meine direkten Kollegen — Musiker und Büro-Kollegen! Ich habe 22 Jahren mit euch ‘herumgehupt’. Schon schön herumgehupt: in vielen Ländern von Europa, bis Mexico, Japan, Taiwan und den Vereinigten Staaten.

Dankbar bin ich, am 03.12.2018 ein Abschiedskonzert kuratieren zu dürfen, bei dem viele meiner Kollegen noch einmal zusammenkommen. Ich freue mich, das Konzert zu beenden mit John White’s good old ‘Drinking and Hooting Machine’, denn wenn eines noch mehr verbindet als zusammen zu trinken, dann ist es zusammen zu musizieren.

Amsterdam, Oktober 2018

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