22. April 2024

Montagskonzert – Klopfen

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Sven-Ingo Koch – Oboe, Violine, Cello (2021) Uraufführung
für Oboe, Violine, Cello
Die Komposition wurde durch ein Stipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen ermöglicht

Klaus Huber – Des Dichters Pflug (1989)
Streichtrio in memoriam Ossip Mandelstam

Younghi Pagh-Paan – Man-Nam I (1977)
für Klarinette, Violine, Viola und Violoncello

Matthias Sebastian Krüger – klopfen I (2021) Uraufführung der Neufassung
für Oboe mit Englischhorn, Violine und Violoncello in scordatura

Nigel Osborne – Zone (1989)
für Kammerensemble

 

Peter Veale, Oboe
Carl Rosman, Klarinette
Hannah Weirich, Violine
Axel Porath, Viola
Dirk Wietheger, Violonello und Kurator

Programmtexte

Sven-Ingo Koch – Oboe, Violine, Cello 

Die Besetzung meiner Komposition „Oboe, Violine, Cello“ ist gleichzeitig „Programm“: Ich kreiere Texturen, in denen die Instrumente zusammenfinden und wieder auseinander-divergieren. So rückt die Interaktion der Instrumente mit ihren akustischen Möglichkeiten ins Zentrum meiner musikalischen Beobachtungen. Zwischen den Polen klanglicher Verschmelzung einerseits und extremer Individualität andererseits fungieren Oboe, Violine, Cello – trotz aller Unterschiede –zunächst wie die Arme  e i n e s  Organismus. Im formalen Verlauf lösen sich die Instrumente dann zunehmend aus gegenseitiger Verzahnung und verfolgen eigene Wege, bilden unabhängige Ebenen und „Subräume“.
Dabei kreise ich um das Zahlenverhältnis 2 zu 3. Zwei zu drei heißt unter anderem: zwei Streicher und ein Holzblasinstrument – bzw. zwei Streicher versus ein Holzblasinstrument. Das Trio ist eingangs eine Art Metainstrument. Die Proportion 2 zu 3 in rhythmischer wie formal-rhythmischer Hinsicht bildet vor allem aber auch eine motivische Keimzelle, die sich zusammen mit “Erinnerungs-Pfaden“ melodischer Art durch die musikalischen Transformationen ziehen und mein primär lineares Vorgehen prägen.
Auch Schichtungen und Multiplizitäten entstehen aus der Linie, die ich mehrdimensional auffalte. Dies Arbeiten mit linearen Schichtungen, die ich gleichzeitig, aber unabhängig voneinander in unterschiedliche Richtungen bewege, erlaubt mir Konfrontation und „Zuschärfung“ (ich beziehe mich auf den Begriff Wolfgang Welschs, Unsere postmoderne Moderne, S.3).
Die Komposition von „Oboe, Violine, Cello“ entstand für Hannah Weirich, Peter Veale und Dirk Wietheger und wurde durch ein Stipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen ermöglicht.

Sven-Ingo Koch

Klaus Huber – Des Dichters Pflug

Klaus Hubers Bezug zur Welt wird gelegentlich „polydirektional“ genannt, auch der Komponist selbst spricht davon. Der Blick ins Werkverzeichnis und die darin gesammelten Partituren offenbart, dass der technische Terminus eine zutiefst menschliche Dimension hat. Er bedeutet Neugierde, Teilnahme, Empathie und den Willen, den Reichtum des Lebens im allgemeinen und der musikalischen Kunst im besonderen nicht nur vor der eigenen Haustür zu suchen. Die einstige Aufforderung an seine Studentin Younghi Pagh-Paan, die koreanische Herkunft und ihre Kultur zu bedenken und die Beziehung zwischen „eigen“ und „fremd“, diese Aufforderung hat Huber in umgekehrter Richtung auch sich selbst zugemutet: hat sich mittelalterliche oder arabische Musik kompositorisch erschlossen, hat Zu- und Widerspruch bei Dichtern, Theologen und Philosophen aus unterschiedlichsten Kulturen und Zeiten gesucht, hat den ihm allzu festen Grund der abendländischen Tonleiter verlassen und mit Drittel- oder Vierteltonskalen komponiert. Auch in Hubers erstem Streichtrio begegnen wir diesem Reichtum der Perspektiven. Des Dichters Pflug ist eine Hommage an Ossip Mandelstam. Zeilen aus Gedichten des Russen haben sich eingenistet in der Partitur, einige werden vom Cellisten „leise und unauffällig“ rezitiert, andere borgen Teilen des Werks ihre Rhythmik. Fasziniert von der Kraft des verfolgten Dichters, in „bedrängtester Enge einen immer noch wachsenden inneren Raum“ zu schaffen, entwirft Huber in Des Dichters Pflug einen musikalischen Raum, in dem das Verhältnis von Innen und Außen, von Vordergrund und Hintergrund, von „Hören und Nicht-mehr-Hören“ in ständiger Fluktuation ist. Der Perspektivwechsel wird nicht mit dem herkömmlichen Mittel einer gestaffelten Dynamik realisiert, sondern durch die Modulation von Klangfarbe, Rhythmik und Intonation. Das Tonmaterial leitet Huber ab aus drei dritteltönigen Skalen.

Raoul Mörchen

Younghi Pagh-Paan – Man-Nam I

Meiner Mutter zum 70. Geburtstag gewidmet
Erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde das koreanische Volk mit europäischer Musik konfrontiert, und zwar durch einen deutschen Kapellmeister. Es handelte sich dabei vorwiegend um Militärmusik. Seither stehen wir – auch in unserer Ausbildung – in einem fortlaufenden Konflikt zwischen unserer traditionellen asiatischen Musikkultur und der europäisch-amerikanischen, die im Laufe der Zeit unsere eigene Tradition mehr und mehr verdrängte. In meinem Stück MAN-NAM I habe ich versucht, die Begegnung der beiden Kulturwelten zu gestalten, um den Kulturschock in mir selber zu überwinden. Dieses Stück wurde angeregt durch ein koreanisches Gedicht der Dichterin Sa-Im-Dang Sin (16. Jh.), in dem sie von ihrer Sehnsucht nach ihrer Mutter spricht. Sie hat es in chinesischer Schrift niedergeschrieben. Einige chinesische Schriftzeichen daraus habe ich als Symbole über die einzelnen Teile der Komposition gesetzt. MAN-NAM I gliedert sich in vier Teile, der dritte Teil leitet mit einer Violoncello-Kadenz in den letzten über. Im ersten Teil versuche ich zögernd, meine Angst zu überwinden. Der zweite Teil ist eine Flucht in die schützende Einsamkeit der Berge. Im dritten Teil wird der quälende Kampf, der durch den Kulturschock in mir ausgelöst wurde, ganz nach vorne getragen. Der abschließende vierte Teil wendet sich stärker der koreanischen Tradition zu. (Das Violoncello z.B. spielt ausschließlich Pizzicati und deutet damit den Klang zweier koreanischer Trommeln an.) Die Musik gewinnt ihre eigene Mitte und ruhige Festigkeit: Versöhnung.

Younghi Pagh-Paan © G. RICORDI & CO

Matthias Sebastian Krüger – klopfen I 

Ein motorisch, maschinell laufendes System technologisch komplexer, verzerrter Instrumentalklänge bricht an inhärenten Instabilitäten und an seinem unvermeidlichen Verschleiß – zunächst in schleichenden Prozessen, dann an Kipppunkten auch abrupt umschlagend – über mehrere Stadien hinweg so weit, bis nur noch tempoinstabiles, stark geräuschhaftes Klopfen übrigbleibt.
Mehr denn je ist unsere Zeit geprägt von einer die vorhandenen Ressourcen verzerrenden und verzehrenden Dynamik, von unserer Abhängigkeit vom reibungslosen Funktionieren hochentwickelter, mächtiger, aber fragiler Technologien und zugleich von den Anfechtungen durch ihre Anfälligkeit aus sich selbst heraus und dem damit einhergehenden Gefährdungspotenzial für unsere Umwelt und somit für unsere Existenz an sich.
Wir sind gefangen auf der einen Seite in den Hamsterrädern der Arbeitswelt, auf der anderen Seite im grellbunten Überfluss, der Reizüberflutung der Freizeitwelt als vermeintlichem Ausgleich und Kompensation, was wiederum für viele Menschen auch Arbeit im Hamsterrad bedeutet.
Und dann passiert es: Stillstand, wie wenn ein Motor nicht (mal) mehr rattert, sondern kaputt nur noch taumelndes Klopfen von sich gibt. Die ganze Menschheit steckte in der Zeit der Konzeption dieses Werkes mit mehr oder weniger klopfendem Motor im ein oder anderen Lockdown fest. Es hätte eine heilsame Erfahrung sein können, eine Chance, die Zukunft anders zu denken, eine Katharsis des kollektiven Bewusstseins.

Matthias Sebasian Krüger

Nigel Osborne – Zone

Dieses kurze Werk für Oboe, Klarinette und Streichtrio wurde 1989 komponiert als ein In memoriam für den russischen Filmregisseur Andrej Tarkowsky. Tarkowskys Filme sind reich an Bildern von Wasser – Flüssen, Regen, Seen und Kaskaden – von Ikonen, von J. S. Bachs Musik.
Er beschrieb das Wasser als das „Bewegen der Schnelligkeit des Films“. In „Zone“ bewegt sich die Musik in der Geschwindigkeit des Wassers. Es gibt präzise musikalische Transkriptionen der Tonhöhen und des Rhythmus bewegenden Wassers und einige ferne Reflexionen der Bach’schen Kontrapunkte.

Nigel Osborne